Würdest du dich eher als Atheist oder Agnostiker sehen?



Neulich wurde ich mal wieder nach meinem Status im Hinblick auf Glaube an Gott gefragt. So richtig wohl fühle ich mich mit keinem der Bezeichnungen, wobei ich Agnostiker noch problematischer empfinde als Atheist. Warum ist das so?
Nunja, einerseits hat es damit zu tun, dass Atheismus als Überzeugung, dass es keinen Gott gibt, verstanden wird. Und dies eben direkt entgegengesetzt zu Theisten, die an einen Gott glauben. Ich sage aber, dass ich nicht weiß, dass es keinen Gott gibt, sondern vielmehr die Argumente, die angeblich für die Existenz eines Gottes sprechen, nicht für ausreichend überzeugend erachte.
Grundsätzlich gilt,
1. wer die Existenz von etwas behauptet, hat die Beweispflicht nicht andersherum
2. besondere Behauptung machen auch besondere Belege erforderlich
3. wenn die Realität einfacher ohne außergewöhnliche Phänomene erklärt werden kann, sollte man die einfache Erklärung vorziehen (und keine intellektuellen Verrenkungen machen)
Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Angenommen ich behaupte, in meinem Garten würden Feen, Elfe und Kobolde leben, so gilt:
1. Niemand muss mir glauben oder darf mir nur widersprechen, wenn er das Gegenteil belegen kann. Die Grundeinstellung sollte skeptisch, aber offen für gute Argumente sein.
2. Das Gefühl, dass da Wesen in meinem Garten existieren, ich des Öfteren von ihnen geträumt habe, mich inspiriert fühle, wenn ich mit ihnen rede oder der Verweis auf die wundersamen Wachstumskräfte und die Vielfalt und Wundersamkeit tierischen und pflanzlichen Lebens sind alle nicht hinreichend, um eine solch fantastische Behauptung glaubhaft zu machen.
3. Natürlich besitzt die Natur eine geradezu magische Faszination, sei es die meditative Wirkung, die sie haben kann oder auch die Faszination, dass Bäume etwa über ihre Wurzeln Informationen untereinander austauschen können. Und auch wenn noch viele Phänomene in der Natur ungeklärt sind, so erklärt Magie und Feenkraft nichts wirklich und erfordert eher Rechtfertigungen für ihre Nicht-Aufspürbarkeit.
Der Vergleich von Gott mit Märchenwesen mag für Theisten an Gotteslästerung grenzen, als ich noch Gläubiger war, hätte ich ihn hingegen aus zwei Gründen nicht Ernst genommen:
1. Spirituelle Erlebnisse können wahnsinnig intensiv sein und wir sperren uns gegen die Vorstellung, unser Gehirn könne uns sozusagen Dinge vorgaukeln. Wir fühlen uns eben als Herr über unser Sein und Handeln, dabei beherrschen uns unbewusste Vorgänge mehr als wir uns das eingestehen wollen. Allein Sätze bilden zu können, ist zumeist ein unbewusster Vorgang, denn nur selten haben wir den ganzen Satz schon im Kopf, wenn wir mit dem Reden beginnen.
2. Als Gläubiger tendiert man dazu, sich nur mit Material auseinanderzusetzen, dass seinen eigenen Standpunkt bestätigt. Die Frage, was, wenn es nicht wahr ist, will man nicht zulassen. Selektiv wählt und behält man sich nur die bestätigenden Erlebnisse, etwa die Gebete, die „erhört werden“. Und die Informationen, die aus gläubiger Quelle stammen, sind eben nicht neutral. Genauso wie der Autoverkäufer nicht objektiv berät und über Schwächen aufklärt, so hört man auch in der Kirche selten davon, auf welch wackeligen Füßen die biblischen Geschichten und Berichte stehen. Stattdessen wird geschönt, verschwiegen und manipuliert.
Insofern ist vielleicht eher der Begriff Skeptiker passend. Auf jeden Fall sollte man als Feen- oder Gottes-Skeptiker eine Antwort auf die Frage haben: Was würde dich von der Existenz überzeugen? Genauso sollte sich der Gläubige eigentlich die Frage stellen: Was würde mich bewegen, meine Position zu revidieren?
Als Gläubiger habe ich die Möglichkeit des eigenen Irrtums ausgeschlossen, aber immerhin aktiv nach neuerer Erkenntnis gesucht, auch kritischer, in der Überzeugung, dass es auf alle Fragen eine Antwort geben müsse. Weil ich so überzeugt war musste ich ja keine Angst vor Information haben. Ich müsste nur wahre und falsche Information trennen und nach Erklärungen für aufkommende Fragen suchen. Irgendwann – nicht wirklich irgendwann, denn an den Punkt und Auslöser kann ich mich noch sehr gut erinnern – war der Glaube nicht mehr aufrechtzuerhalten. Dem Realitätscheck konnte er nicht standhalten. Und das war nicht im Geringsten gewünscht oder beabsichtigt. Im Gegenteil.  
Jetzt aber zum wahren Grund, warum ich mich schwertue, mich als Atheisten zu bezeichnen. Angenommen es gibt einen Gott, dann stellt sich ja die Frage: Welcher Gott ist es? Und vielleicht noch wichtiger: Wie ist er, sie oder es? Und: Was will er (von uns)? Nun nimmt jede Religion mehr oder weniger für sich in Anspruch, diese Fragen beantworten zu können. Aber eben in nicht unwesentlichen Teilen in erheblichem Widerspruch zu Gläubigen anderer Glaubensrichtungen. Und selbst innerhalb der biblischen Tradition haben sich die Antworten mit der Zeit dramatisch verändert und reflektierten immer auch den jeweiligen Zeitgeist. So war Gott eben mal sehr kriegerisch, dann, als Halbgötter angesagt waren, eben genauso einer und so weiter bis hin zur heutigen Vorstellung, die sich sehr an das moderne Ideal eines Vaters anlehnt – also liebevoll und fürsorglich und weniger auf Gehorsam und Gottesfurcht pochend.
Und sollte es eine Person, Macht, Kraft, Energie oder was auch immer, der/die/das für den ganzen Wahnsinn auf der Welt und im Universum verantwortlich ist und uns idealerweise auch noch positive Gefühle entgegenbringt – also so etwas wie elterliche Liebe –, glauben wir dann wirklich, dass er verehrt werden will, dass man ihm huldigen muss, sich regelmäßig zu seinen Ehren versammeln und irgendwelche Rituale abhalten muss? Das würde doch nur ein Egomane verlangen.
Auf jeden Fall scheint es Gott – so es ihn/sie/es denn gibt  – entweder wenig an klaren und konsistenten Antworten auf die Fragen zu seiner Person und seinem Willen zu liegen oder er hat ein massives Kommunikationsproblem.  Selbst da, wo es angeblich einen sehr direkten Draht zu Gott gegeben haben soll, war es Gott nicht möglich, Joseph Smith das mit der Polygamie oder der Bank in Kirtland auszureden. Weder dass die nordamerikanischen Indianer nichts mit den Protagonisten im Buch Mormon noch, dass die Freimaurerrituale erst im Mittelalter entstanden sind. Oder dass die Erde nicht wenige tausend Jahre alt ist, die Aufzeichnungen bei den ägyptischen Mumien gängige Totentexte enthielten oder Adams Altar wohl kaum noch in Missouri des 19. Jahrhunderts zu sehen sein kann. Auch Brigham Young konnte er wohl nicht vermitteln, dass Sklaverei unmenschlich ist und er selber nicht Adam war. Genauso konnte Gott nicht nachfolgenden Mormonen-Profeten beibringen, dass die Diskriminierung von Schwarzen nicht okay sei, dass Homosexualität nicht durch Masturbation verursacht wird oder der Golfkrieg eine Katastrophe werden würde.
Und das ist ja nur der Anfang der Unsicherheit. Beispielsweise war lange Zeit bei den Mormonen Geburtenkontrolle verpönt genauso wie berufstätiges Muttersein. Auf aktuelle Fragen zu Sterbehilfe, Genetik, Klimawandel, Terrorismus, soziale Ungerechtigkeit usw. hat man auch keine Antworten. Dummerweise hält sich Gott da sehr zurück und die Tipps von Menschen aus der Bronzezeit sind da auch nur bedingt hilfreich.
Auch für individuelle moralische Fragen ist Gott, Bibel & Co. nur eingeschränkt eine Hilfe. Ja, die dem Wanderprediger aus Judäa zugeschriebenen Aussagen in der Bergpredigt sind schön und gut. Daneben gibt es aber selbst im Neuen Testament jede Menge moralisch bedenklicher Empfehlungen, was beispielsweise die Rolle der Frau anbelangt oder den Umgang mit Familienangehörigen mit divergierenden Glaubensansichten.
Alles in allem liefern Religionen und Gott schlicht und ergreifend keine wirklich verlässlichen und sich nicht ständig revidierenden Antworten. Glauben wir ernsthaft, dass Johannes K., geboren 1685 in Hundsdorf im Westerwald, nur dadurch nach vielen Jahrzehnten ins Paradies gelangt, weil ein Teenager unter Verwendung der richtigen Formel in einem speziellen Pool unter Wasser gedrückt wurde?  
Für das wahre Leben und die ernsthafte Suche nach einem erfüllten Leben halte ich Gott und Religion schlicht und ergreifend für irrelevant. Je nach Religion sogar eher gefährlich und schädlich. Der Physik-Nobelpreisträger Steven Weinberg hat recht, wenn er sagt: „Ich denke, dass ein enormer Schaden von der Religion angerichtet wurde - nicht nur im Namen der Religion, sondern tatsächlich von der Religion."„Religion ist eine Beleidigung der Menschenwürde. Mit oder ohne sie würden gute Menschen Gutes tun und böse Menschen Böses. Aber damit gute Menschen Böses tun, dafür bedarf es der Religion."
Daher bin ich, was meinen Alltag anbetrifft, eher ein Apatheist (aus dem grieschischen Apathie=Unempfindlichkeite und Theos=Gott) , was ich einfach mal definiere als: Gottesfragen spielen keine Rolle, sind ohne Belang. Im Hinblick auf fundamentalistischere Ideologien bin ich in der Tat aus eigener Erfahrung sehr kritisch. Dass sich die Menschheit in vielerlei Weltanschauungsfragen nicht großartig gegenüber der Bronzezeit weiterentwickelt hat, ist erschreckend und in gewisser Art und Weise desilllusionierend. Trotz Smartphones und Robotern sind wir Menschen letztlich im Kern in Rudeln lebende Säugetiere mit seit tausenden von Jahren nicht wahnsinnig veränderten Instinkten, Trieben usw.

Zwei Fragen, die sich orthodoxe Mormonen stellen sollten, aber nicht tun



Die klassische Antwort von orthodoxen Mormonen auf kritische Aspekte des Glaubens geht irgendwie so:
„Keiner weiß genau, was in der Vergangenheit war. Wissenschaftliche Erkenntnisse wandeln sich ständig. Daher ist die einzig verlässliche Quelle in Glaubensfragen der direkte Draht zu Gott. Also nur Schriftstudium und Gebet. Und dann die Bestätigung durch den Heiligen Geist.“
Klingt zunächst gut: Für sich selbst herausfinden durch eine Antwort direkt von Gott.
Aber: Woher weiß ich, dass ein Brennen im Herzen und ähnliche Gefühle wirklich von Gott stammt und nicht bloß in meinem Gehirn produziert wird? So wie kognitive Dissonanz Gefühle auslöst.
Die Antwort: Weil man es spürt und Gott es in der Heiligen Schrift offenbart hat? Klingt nach einem Zirkelbezug und nicht nach einem verlässlichen Standard.
Zweite Frage: Wenn die Antwort von Gott stammt, woher weiß ich, wie sie gemeint ist? Oder anders ausgedrückt: Bestätigt Gott damit eindeutig, dass das ganze Paket wahr ist, also: Gott lebt, Jesus Christus auch, Joseph Smith war ein Profet, hat die wahre Kirche wiederhergestellt, Buch Mormon ist wahr, alle folgenden Präsidenten der Mormonenkirche sind Profeten, Seher und Offenbarer mit der exklusiven Vollmacht Gottes, die auf die etablierte Methode weitergereicht wird und so weiter.
Hintergrund: Viele Gläubige anderer Kirchen und Religionen beschreiben sehr ähnliche spirituelle Erlebnisse. Und nein, die Mormonen und Mormonen-Interessierten sind nicht die einzigen Menschen, die Gott um eine Bestätigung ihres Glaubens ersuchen. Jetzt sagen Mormonen dann: „Diese Menschen haben ja auch Zugang zum Licht Christi und ein Anrecht auf Bestätigung göttlicher Wahrheiten. Dass, was ihnen bestätigt wird, ist nicht, dass beispielsweise die katholische Kirche von Gott autorisiert ist, sondern nur, dass die Bibel göttliche Inspiration enthält, Gott und Jesus existieren und so etwas.“
Okay, wenn also Anhänger unterschiedlicher Religionen dieselbe Art von geistiger Erlebnisse erfahren als Antworten auf an Gott gerichtete Bitten um Bestätigung ihres Glaubens und viele die Antwort zu weit fassen, wie kann ich als Mormone sicher sein, dass ich nicht denselben Fehler begehe? Wie kann ich sicher sein, dass die Bestätigung nicht eigentlich nur generell die Existenz eines göttlichen Wesens betrifft nicht aber der speziellen Glaubensrichtung?
Um an die Wahrheit der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage zu glauben, muss man sich somit quasi blind auf zwei Annahmen verlassen: A. Das Brennen im Herzen kommt wirklich von Gott und ist nicht nur selbst-induziert. B. Das Brennen im Herzen ist die Bestätigung auf genau den Umfang der gestellten Frage und aller damit zusammenhängenden Schlussfolgerungen bzw. Argumentationsketten, das volle Paket eben.
Ob diese Annahmen zutreffen, kann ich nicht überprüfen, nicht hinterfragen, muss ich einfach glauben.

Mehr Gutes als Schlechtes?

Angenommen es gäbe eine Schule in Ihrer Nachbarschaft, die in einem tollen Gebäude untergebracht ist mit hervorragender Einrichtung und Lehrmaterialien, einer ausgezeichneten Mensa, Aula und Sporteinrichtungen. Die Lehrer kümmern sich liebevoll und kompetent um jede Schülerin und jeden Schüler, sind engagiert und verstehen es, die Schüler für ihr jeweiliges Unterrichtsfach zu begeistern. Daneben unterstützt die Schule vielfältige soziale Projekte. Die Absolventen machen in der überwiegenden Mehrzahl tolle Karrieren und begleiten Top-Positionen in Wirtschaft und Politik. Kleiner Wermutstropfen: die Schule akzeptiert keine ausländischen Schüler, Schüler mit Migrationshintergrund, dunkler Hautfarbe oder muslimischen Glaubens. Würden Sie Ihre Kinder dorthin schicken, wo sie doch eine hervorragende schulische Ausbildung genießen würden? Würden Sie sich gar aktiv für eine Beendigung der Diskriminierung einsetzen?

Die Duldung einer solchen schulischen Institution ist kaum vorstellbar. Kaum einer, der die Diskriminierung ablehnt, könnte darüber hinwegsehen, weil sich doch die Schüler wohl fühlen und eine ansonsten hervorragende schulische Ausbildung genießen.

Sobald wir aber von der schulischen in die Sphäre des Glaubens und der Religion wechseln, ändert sich die Einstellung für Viele plötzlich. Für Kirchen ist es keineswegs tabu, rassistische Lehren zu verbreiten, gegen Homosexuelle zu hetzen, Indoktrination zu betreiben oder anti-wissenschaftliche Einstellungen zu propagieren. Würden in Schulen offensichtlich gefälschte und geschönte geschichtliche Hintergründe gelehrt werden, würde die Öffentlichkeit auf die Barrikaden gehen. Bis auf den Religionsunterricht natürlich: auch hier darf kirchliche Propaganda vielfach nahezu ungehindert erfolgen. Oder wird sichergestellt, dass Schüler beispielsweise über den aktuelle Stand der historischen und Textkritik der Bibel aufgeklärt werden. Selbstverständlich spricht nichts dagegen und vieles sogar dafür, dass Schüler über die Inhalte der Bibel aufgeklärt werden.

Problematischer hingegen ist, dass unter dem Deckmantel der Religion Irrsinn verbreitet werden darf, wie die Ablehnung der Evolutionslehre oder dass die Vorfahren der lateinamerikanischen Ureinwohner ihre dunklere Hautfarbe einem göttlichen Fluch verdanken. Wenn es um den Glauben geht, darf widerspruchslos von Adam und Eva, Noah, Abraham, Mose, König David & Co. als historische Persönlichkeiten gesprochen werden, die es wirklich gab statt sie wie Siegfried als Sagenfigur zu behandeln.

Und würde man Kindern homosexueller Paare den Schulabschluss verweigern, wäre das zurecht ein Skandal. Die kirchliche Taufe darf man ihnen aber wie bei den Mormonen verweigern. Einerseits ist Religionsfreiheit und hohes Gut. Dies darf aber nicht als Rechtfertigung für Diskriminierung missbraucht werden. Das abzuwägen ist nicht immer ganz einfach, so wie ja auch Neonazis und Rechtsextreme gerne auf ihr Recht der freien Meinungsäußerung verweisen. Naturgemäß tut sich der Staat und die Presse hier schwer. Davon ungeachtet ist es die Aufgabe jedes Kirchenmitglieds, sich klar gegen Diskriminierung, Geschichtsfälschung, Indoktrination und Wissenschaftsfeindlichkeit zu auszusprechen.

Es ist nicht akzeptabel, wenn die sozialen und emotionalen Vorteile einer Religion in Anspruch genommen und gefeiert werden, während fundamentales Unrecht im Namen dieser Religion ausgeübt wird. Es mag noch so vielen Menschen Trost und Mut spenden, Sinn und Gemeinschaft stiften usw. Intoleranz und das Verursachen von Leid darf nicht toleriert und angesichts des Guten, das gleichzeitig bewirkt wird, beiseite geschoben werden. Die persönliche Befriedigung spiritueller Bedürfnisse darf nicht blind machen gegenüber möglichem Unrecht.

Geistige Erlebnisse

Irgendwas davon vertraut? Warum berichten sie alle von ähnlichen Erlebnissen, ähnlicher spiritueller Bestätigung? Könnte es sein, dass unsere Gefühle nicht sonderlich vertrauenswürdig sind? Wir besser noch einen andere Art von Glaubens-Check einbauen? Oder sind die alle nur fehlgeleitet, ich aber nicht? Könnte es neben optischen Illusionen auch emotionale oder spirituelle Illusionen geben? Könnte uns unser Gefühl so in die Irre führen? 


Abend mit Elder M. Russell Ballard

Einfach großartig, wie viel Hochachtung die Mormonen-Führung für diejenigen aufbringt, die kritische Fragen stellen:

"Nun für Phoebe, Marion und William wurde das Hören eines reinen Zeugnisses zum Katalysator, der ihr Leben für immer veränderte. Das gleiche kann für Ihre Schüler wahr werden. Doch angesichts der Realitäten der heutigen Welt kann ein reines Zeugnis nicht immer ausreichen. Phoebe, Marion, und William waren sauber und rein und waren frei von Pornografie und Weltlichkeit, als sie zu Füßen inspirierter Missionare, Lehrer und Führer saßen. Der Geist drang leicht in ihre weichen und reinen Herzen ein. Heute ist die Sache sehr viel anders, weil einige Ihrer Schüler bereits von Pornografie und Weltlichkeit infiziert wurden, bevor sie Ihre Klassen erreichen."

Pornografie und Weltlichkeit - wer hätte das gedacht? Klar, nur wer Pornos schaut, stört sich daran, dass Joseph Smith 14-jährige Mädels geheiratet, sich sehr unterschiedlich an seine Erste Vision erinnert, das Buch Abraham nicht übersetzt hat und so weiter. Egal. Pornografie ist eine Seuche, eine Epidemie, das aktuell größte Übel der Menschheit.

"Pornografie löst eine öffentliche Gesundheitskrise aus" und "Pornografie verfestigt eine sexuell vergiftete Umwelt", heißt es neuerdings sogar in einem offiziellen Dokument des US-Bundesstaates Utah. Utah ist übrigens der Bundesstaat in den USA, in dem USA-weit die meisten Online-Pornos geschaut. 

Warum das so ist, erklären die so genannten ironischen Prozesse, die der Psychologie Daniel Wegner von der Harvard University experimentell nachgewiesen hat. Ironische Prozesse beschreiben den Tatbestand, dass sich jene Gedanken um so stärker in den Vordergrund drängen, wenn man diese bewusst zu unterdrücken versucht. Also zum Beispiel der Aufforderung nachzukommen, nicht an weiße Bären zu denken. So zeigten Leute, die angewiesen wurden, nicht an Sex zu denken, eine grössere Erregung als solche, die nicht an ein neutrales Thema denken sollten. Der Erregungsgrad wurde dabei anhand der elektrischen Leitfähigkeit der Haut an den Fingern gemessen.

Die Forschungsresultate zeigten, so Wegner, "dass wir unter bestimmten Bedingungen das Schlimmste, was wir denken, tun oder sagen, besser vermeiden können, wenn wir das Vermeiden vermeiden." Der Versuch der mentalen Selbstkontrolle führt zu einer Steigerung des Auftretens unerwünschter Gedanken. Verbote, Unterdrückung wirken eher kontraproduktiv.

Indem Ballard und Konsorten ständig vor Pornografie warnen, verstärken sie also ungewollt den Pornokonsum. Außerdem tragen sie dazu bei, dass aus den dadurch verursachten Scham- und Schuldgefühlen ein Teufelskreis entstehen kann, der bis hin zu Depressionen führt. Und auch bei Antidepressiva ist Utah USA-weit führend. Könnte da ein Zusammenhang bestehen?

Was ist bei der Schöpfung schief gelaufen?

Vor wenigen Tagen in den Schlagzeilen: das schwule Pinguin-Pärchen im Hamburger Tierpark Hagenbeck. Ein wenig Recherche offenbart, dass dies kein Einzelfall ist. Hierzu beispielsweise die renommierte Schweizer NZZ:"Seite an Seite stehen zwei Giraffenbullen und reiben einander mit den Hälsen sanft den Körper. Dann zeigen sich Erektionen. Einer besteigt den anderen und kommt zum Orgasmus. Ein Makakenweibchen sitzt einem anderen Weibchen im Schoss. Eng umschlungen reiben die beiden ihre Genitalien aneinander. Sie saugen sich an den Brustwarzen, schauen sich tief in die Augen, gurren, pfeifen, quieken. Homosexuelles Verhalten ist bei Giraffen weit verbreitet; in einer afrikanischen Region machten die Besteigungen zwischen Männchen 94 Prozent aller sexuellen Akte aus. Und über 40 Prozent der Makakenweibchen pflegen gleichgeschlechtliche sexuelle Kontakte.Giraffen und Makaken sind keine Sonderfälle. Wie der amerikanische Biologe Bruce Bagemihl im Buch «Biological Exuberance» darlegt, ist Homosexualität in der wissenschaftlichen Literatur für 471 Spezies dokumentiert, darunter 167 Säugetierarten, 132 Vögel, 32 Amphibien und Reptilien, 15 Fische und 125 Insekten und andere Wirbellose. Es fehlen in dieser Aufzählung noch die Haustiere, wo bei 19 Arten gleichgeschlechtliche Sexualität beobachtet worden ist, etwa bei Rindern, Schafen, Schweinen und Kaninchen, aber auch bei Pferden, Hunden und Katzen. Bei den Hamstern und Hühnern scheinen sich nur die Weibchen für das gleiche Geschlecht zu interessieren.Bagemihl ist überzeugt, dass diese Liste nur die Spitze des nonkonformen Eisberges ist. Denn von mancher Kreatur, die im tropischen Blätterwerk, in Erdhöhlen oder in der Tiefe der Ozeane lebt, weiss man über das sexuelle Leben noch gar nichts. In anderen Fällen sind sich Männchen und Weibchen äusserlich derart ähnlich, dass manch ein vom Zoologen registrierter Fortpflanzungsakt auch eine homosexuelle Affäre gewesen sein mag. So beobachtete der Walforscher James Darling stundenlang die turbulente Werbung zweier Grauwale um ein Weibchen - und staunte nicht schlecht, als sich plötzlich drei erigierte Penisse über der Wasseroberfläche zeigten.Zum wissenschaftlichen Slapstick verkommen ist das Studium einer Gruppe von Königspinguinen im Zoo von Edinburg: 1915 hatte man den Tieren gemäss ihrem Paarverhalten männliche und weibliche Namen gegeben, doch in den Folgejahren zeigten sich verwirrende Umgruppierungen zu homosexuellen Partnerschaften. Und dann legten plötzlich schwule Pinguine Eier. Immer wieder korrigierten die Biologen ihre Meinung, was Männchen und was Weibchen sei, und als sieben Jahre später das Geschlecht der einzelnen Tiere endlich einwandfrei bestimmt werden konnte, sahen sich die blamierten Fachleute veranlasst, Andrew zu Ann, Bertha zu Bertrand, Caroline zu Charles und Eric zu Erica umzutaufen - einzig Dora konnte ihren Namen behalten. Wie gross das Durcheinander gewesen war, zeigt die Tatsache, dass das Lesbenpaar Bertha und Caroline sich schliesslich als die Homos Bertrand und Charles entpuppten.Was Bagemihl in zehnjähriger Detektivarbeit auf 750 kleingedruckten Buchseiten zusammengetragen hat, öffnet nicht nur den Blick für eine ungeahnte Vielfalt an tierischem Verhalten, es zeigt auch in aller Deutlichkeit, wie scheinbar objektive wissenschaftliche Arbeit von Vorurteilen geprägt sein kann. Eine erste Beobachtung von gleichgeschlechtlichem Sex bei Vögeln machte vor über 200 Jahren der französische Naturforscher Georges-Louis Leclerc de Buffon. Seither gibt es in der wissenschaftlichen Literatur etwa 600 einschlägige Referenzen. Mit wenigen Ausnahmen widerspiegeln diese Hinweise weit eher die moralischen Vorstellungen der Beobachter als das sachliche Geschehen im Tierreich.Da häufen sich Ausdrücke wie «seltsam», «unnatürlich», «abartig», «pervers», «bizarr». Wo ein Bulle einen Geschlechtsgenossen besteigt, ist von einem «homosexuellen Laster» die Rede; gleichgeschlechtliche Beziehungen bei Wasserläufern sind «sexueller Unsinn». Noch 1987 trug ein Artikel über homosexuelle Paarung bei marokkanischen Schmetterlingen den Titel: «Eine Bemerkung zu den sinkenden moralischen Werten bei Lepidoptera».Wer seine Abneigung gegen das animalische Treiben nicht zugeben wollte, hat die Tatsachen irgendwie uminterpretiert. So wurde eine homosexuelle Kopulation bei Schwalben damit erklärt, dass das Männchen seinen Partner mit einem Weibchen verwechselt habe. Das lustvolle Liebesspiel zweier Bonobo-Weibchen (einer Schimpansenart) wurde als Begrüssungsverhalten oder Spannungsregulation klassifiziert. Und als sich zwei Orang-Utan-Männchen oral befriedigten, fand der Zoologe, da liege wohl eher ein ernährungsbedingtes denn ein sexuelles Interesse vor.In sehr vielen Fällen aber wurde homosexuelles Verhalten bei Tieren von der forschenden Gilde einfach totgeschwiegen. War die Angelegenheit in der einzelnen Dissertation oder im Fachartikel allenfalls noch erwähnt worden, im Lehrbuch, im Übersichtsartikel, im Fachvortrag fiel die unpassende Tatsache dann einfach unter den Tisch.Als die Menschenaffenforscherin Linda Wolfe 1991 bei ihren Fachkollegen eine entsprechende (vertrauliche) Umfrage machte, räumten die meisten ein, sie hätten bei ihren Feldstudien tatsächliches schwules und lesbisches Verhalten beobachtet. In der Publikation aber habe man das nicht erwähnt - weil die Beobachtung biologisch nicht einzuordnen gewesen sei oder weil man ganz einfach Angst gehabt habe, bei den Fachkollegen als schwul zu gelten.Homosexualität bei Tieren verdient hohes wissenschaftliches Interesse. Denn sie ist ein starkes Argument gegen das Dogma, animalische Sexualität stehe ausschliesslich im Dienste der Fortpflanzung - und nur die Krone der Schöpfung habe lustvollen Sex, losgelöst vom genetischen Diktat, entdeckt.Die erotische Phantasie der Fauna ist überwältigend. Schwule Bonobos hängen sich mit den Armen an Äste und tragen mit dem erigierten Penis ein veritables Fechtturnier aus. Delphine kommen zur Sache, indem einer dem andern den Penis ins Blasloch auf der Schädeloberseite steckt oder seinem Freund als Vorspiel mit einer Kaskade starker Klicklaute das Geschlecht massiert. Und während Männchen bei den Aztekenmöwen einen Geschlechtsgenossen überfallartig vergewaltigen, auch wenn dieser gerade mit einem Weibchen kopuliert, zeigen andere Tierarten ein Repertoire von höchster Poesie: Da verknutscht ein Murmeltierweibchen erst zärtlich das Ohr ihrer Freundin, bevor sie sie besteigt; Schimpansenmännchen tauschen Zungenküsse aus. Auch sozial ist alles möglich: von der lebenslangen und männerlosen lesbischen Beziehung zweier Füchsinnen bis zur Orgie von fünfzig Walrossbullen, die im seichten Wasser anal verkehren oder mit den Flossen masturbieren, um die Durststrecke bis zum saisonalen Treffen mit den Weibchen zu überbrücken.Homosexuelle Tiere sorgen auch für Nachwuchs. Weisskopf-Lachmöwen und Silbermöwen leben in Kolonien mit Zehntausenden brütender Paare. Homosexuelles Geschehen aufzuspüren ist umso schwieriger, als männliche Vögel keinen Penis haben und die beiden Geschlechter äusserlich nicht zu unterscheiden sind. Den Biologen fiel aber auf, dass in 10 bis 15 Prozent der Nester vier bis sechs Eier lagen anstatt der üblichen zwei bis drei. Analysen brachten es dann an den Tag: Die Nester mit doppeltem Inventar gehörten einem Lesbenpaar, jede der Partnerinnen steuerte ihre Eier bei. Erstaunlicherweise schlüpfen auch aus diesen Gelegen in etwa einem Drittel der Fälle Küken - einigen Lesben gelingt es offenbar, sich zwischendurch bei einem Männchen den nötigen Samen zu holen.Bagemihl erweitert die Diskussion auf jede Art sexuellen Verhaltens von Tieren und findet zahlreiche Beispiele, wo auch Heterosexualität keineswegs nur der Fortpflanzung dient. Das Löwenpärchen, das 1500-mal kopuliert, bis es zur Zeugung kommt, leidet nicht unter mangelnder Fruchtbarkeit. Viele Tierarten begatten sich auch ausserhalb der Brutsaison, wo eine Empfängnis gar nicht möglich ist. Die Kampfläufer, eine Schnepfenart, kennen vier verschiedene sexuelle Identitäten für Männchen. Sesshafte, randständige, vagabundierende und nacktnackige Männchen unterscheiden sich im Federkleid und im Territorialverhalten, und das komplizierte homosexuelle, bisexuelle und heterosexuelle Wechselspiel unter ihnen und mit den Weibchen lässt das Kinderkriegen eher als Nebensache erscheinen. Und Bonobos, Orang-Utans, aber auch grosse Tümmler kennen eine Vielfalt von Stellungen, die sich durchaus mit dem Einfallsreichtum des Homo sapiens messen darf.Bruce Bagemihl kommt schliesslich zum kühnen Schluss, für Homosexualität lasse sich ebenso wie für manche Formen von heterosexuellem Sex kein unmittelbarer biologischer Sinn finden - und den brauche es auch nicht. Dieses Verhalten sei als Teil einer umfassenderen Sexualität vielmehr Ausdruck von Vitalität und natürlicher Üppigkeit, und es drücke wie die biologische Artenvielfalt das Unvorhersehbare und Überraschende im Naturgeschehen aus."
Fragt sich, wie sich der Fehler im Tier- und Menschenreich einschleichen konnte. Oder hat Gott die Schöpfung nicht als gut erklärt? Er war offensichtlich stolz auf sein Werk. Ein wenig Eigenlob ist ja auch okay, schließlich ist eine ordentlich Artenvielfalt entstanden, wenn auch nicht durchgängig heterosexuell. Somit kann man also klar sagen, Homosexualität ist natürlich. Das will nur Putin nicht sehen, genauso wenig wie die saudi-arabischen Spinner und die homophoben Mormonenführer.Wenngleich der ober-homophobe Apostel Boyd Packer schon die richtige Frage in 2010 gestellt hat, nämlich: "Einige meinen, sie seien vorgegeben und sie könnten ihre vermeintlich angeborenen Neigungen zum Unreinen und Widernatürlichen nicht überwinden. Nicht doch! Warum sollte unser Himmlischer Vater dies jemandem antun? Denken Sie daran: Gott ist unser Vater im Himmel." (Frage wurde nachträglich gelöscht, genauso wie der Absatz textlich verändert) Weiterhin sprach er in jener Generalkonferenz davon, man könne die Natur nicht ändern. Richtig! So ist die Natur: da gibt es hetero- und homosexuelle Tiere, Tiere, die monogam leben und andere, die polygam leben, ihre Partner ständig wechseln oder gar nach dem Geschlechtsakt töten. Das Tierreich kann wohl kaum als klarer Maßstab für natürliche, gesunde, glücklich machende Sexualität und Familienbeziehungen herhalten. Genauso kritisch sollte man sein, ein von einem primitiven Völkchen aus der Bronzezeit stammendes Dokument (Altes Testament) als Maßstab für Moral im 21. Jahrhundert heranzuziehen. Denn sonderlich moralisch war das dort beschriebene und angeblich von Gott gut geheißene Gemetzel, Versklaven, Unterdrücken, Opfern usw. beim besten Willen nicht.

LDS Disziplinar-Quiz

Bei welchen Personen müsste laut neuestem Handbuch Allgemeine Anweisungen ein Disziplinarverfahren abgehalten werden, wenn sie Mitglieder der LDS-Kirche wären (einer davon ist es tatsächlich)?

A: Bruce Jessen, der im Auftrag der CIA nach den Anschlägen von 9/11 die Foltermethoden wie das Waterboarding entwickelt hat.

B: Abdelhamid Abaaoud, vermeintlicher Drahtzieher der Pariser Anschläge.

C: Guido Westerwelle, der an Leukämie erkrankte ehemalige Außenminister.

Richtig, Guido Westerwelle! Und hätten alle drei genannten Personen Kinder, welches dürfte als Kind keine Kindersegnung, Taufe, Konfirmierung, Teilnahme an Tempelfahrten oder Priestertumsübertragung erleben? Richtig, Guido Westerwelles! Und wer ist tatsächlich ein Mormone? Bruce Jessen.

Warum aber müsste Guido Westerwelle mit Exkommunikation rechnen? Klar, Herr Westerwelle ist homosexuell und lebt nicht etwa zölibatär, sondern ist seit 2010 mit Michael Mronz verheiratet. Und das soll halt Gott nicht gutheißen. Gut, die Lehre ist nicht wirklich neu, wurde jetzt nur nochmal verschärft. Und dass sich deshalb viele vor allem jugendliche Mormonen das Leben nehmen, hat nun keinen Aufschrei verursacht. Liberale Mormonen zucken da höchstens mit den Schultern, denn die Wege Gottes sind nun einmal unergründlich.

Dass nun aber unschuldige heterosexuelle Kinder auch noch diskriminiert werden, ist wirklich ein Skandal. Nur weil sie eben primär bei schwulen oder homosexuellen Pärchen großgezogen werden. Widerspricht eigentlich der Kirchenlehre, dass Kinder nicht für die Sünden ihrer Eltern bestraft werden oder der Mahnung Jesu, die Kinder doch zu ihm zu lassen. Das hat dann aber Elder Christofferson klargestellt: das sei nämlich keine Diskriminierung oder gar Strafe, sondern diene allein zum Schutz der Kinder... oder vielmehr der anderen heterosexuellen Kirchenmitglieder, denn, so sagt er, sonst müssten den Kindern ja Heim- und Besuchslehrer zugewiesen werden und dann müssten unschuldige Mitglieder die Heime von Schwulen und Lesben betreten. Das kann ihnen nun wirklich niemand zumuten. Die Kinder können schließlich immer noch mit 18 getauft und endlich die Gabe des Heiligen Geistes erhalten, selbstverständlich nur, wenn sie sich deutlich von der Lebensweise ihrer Eltern distanzieren. Ach ja, und es muss dann noch durch die Erste Präsidentschaft genehmigt werden. Schließlich ist das schon sehr heikel. Wer weiß, ob das mit der Homosexualität nicht doch ansteckend ist.

Ja, wenn man den Kindern Homosexueller wirklich helfen wollte, würde man mit der Diskriminierung, Stigmatisierung, Marginalisierung und Verteufelung von Homosexuellen aufhören. Denn nicht eine Kindersegnung sorgt potenziell für Konflikte - schließlich wird die doch nur durchgeführt, wenn alle Elternteile zustimmen -, vielmehr die Hetze gegen gleichgeschlechtliche Paare. Auch dürfte die so genannte Klarstellung die Einigung hinsichtlich Sorgerecht eher schwieriger gestalten, müssen doch gläubige Elternteile fortan dafür kämpfen, dass der primäre Wohnsitz keinesfalls dem homosexuellen Partner zufällt.

Zugegeben, durch die Änderungen im Handbuch ist es nun kaum noch zu übersehen, wie die Kirche Hass, Intoleranz und Diskriminierung auf Basis veralteter Vorstellungen und Vorurteile in Sachen Sexualität und Geschlechterrollen verbreitet. Wie bei der Diskriminierung der Farbigen steht die Kirche wieder einmal auf der falschen Seite der Geschichte. Durch die Änderung des Handbuchs wird diese Position weiter zementiert, eine Änderung in naher Zukunft dadurch nahezu unmöglich gemacht. Wer als Mitglied hierzu schweigt, macht sich mitschuldig. Mitschuldig an weiteren Selbstmorden. Mitschuldig an weiteren Ausgrenzungen.

Selbst Joseph Smith und Brigham Young haben sehr deutlich vor einem Gehorsam gewarnt, der die Augen vor offensichtlich Falschem und Unmoralischem verschließt:


Angeblich wurde einem lesbischen Mitglied diese Notiz ans Auto geheftet und vors Haus gelegt:


Das dürfte eine Ausnahme sein. Ich habe die überwiegende Mehrzahl der Mitglieder als wohlmeinende, im Herzen gute Menschen erlebt. Aber es ist klar: diese Verschärfung der Richtlinien im Hinblick auf in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften lebende Mitmenschen und ihren Kindern führt nicht zu mehr Liebe und Toleranz. Gerade schwule und lesbische Paare, die eine feste Beziehung eingehen und wie im anfangs geschilderten Beispiel von Guido Westerwelle in guten wie in schlechten Zeiten füreinander da sind, als sündhaft zu bezeichnen, ist pervers. Nicht deren Sexualität. Und es ist auch nicht in Ordnung, diese Art der Ausgrenzung und Stigmatisierung einfach hinzunehmen und nicht klar Stellung zu beziehen. In seiner Rede anlässlich der Überreichung des Friedensnobelpreises am 10. Dezember 1986 in Oslo sagte Elie Wiesel: "Wir müssen immer Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer".

PS: Mittlerweile ist durchgesickert, dass die Änderungen der Anweisungen wohl primär juristische Gründe hatten. So könnten in den USA demnächst Organisationen verklagt werden, wenn sie ihren Mitgliedern emotionalen Schaden aufgrund der Hetze gegen ihre schwulen oder lesbischen Eltern zufügen. Die Lösung: ganz einfach die Kinder nicht mehr als Mitglieder aufnehmen, solange sie sich nicht selber explizit gegen die Lebensweise ihrer Eltern aussprechen, was sie wiederum erst als Erwachsene eigenverantwortlich können. Perfide, aber rein juristisch nachvollziehbar. Passt sehr gut dazu, dass die Familien-Proklamation ebenfalls aus rechtlichen Gründen entwickelt wurde, nämlich im Kampf gegen die Homo-Ehe auf Hawaii (siehe
http://www.qrd.org/qrd/usa/legal/hawaii/baehr/1997/brief.mormons-04.14.97 und
http://www.mormonsocialscience.org/2008/01/04/richley-crapo-chronology-of-mormon-lds-involvement-in-same-sex-marriage-politics/).
Auch wenn die Änderungen ein Schlag ins Gesicht all der progressiveren Mormonen ist, die auf eine langsame Veränderung und Modernisierung der Einstellung der Kirche hofften, so zeigt das Beispiel von Geschlechtsumwandlungen wie weitere Änderungen nicht ausgeschlossen sind - natürlich auch wie wahnsinnig ahnungslos die Kirchenführung ist:
http://bycommonconsent.com/2015/11/18/continuing-revelation/


http://www.qrd.org/qrd/usa/legal/hawaii/baehr/1997/brief.mormons-04.14.97)

Podcast-Empfehlung des Monats

Yuval Noah Harari über Mythen und vieles mehr:

https://soundcloud.com/intelligence2/yuval-noah-harari-on-themyths-we-need-to-survive

Brief an einen CES-Direktor

Jetzt gibt es ihn auch auf deutsch -  den berühmt-berüchtigten "Brief" von Jeremy Runnells, in dem er seine kritischen Punkte hinsichtlich der Wahrheitsansprüche der HLT-Kirche zusammenfasst. Hervorragender Ausgangspunkt, um sich seriös, ohne Polemik mit den kritischen Punkten zur Mormonen-Geschichte und -Lehre einen Überblick zu verschaffen. Alles, was die HLT-Kirche gerne unter den Teppich kehrt und zu denen sie keine wirkliche Antworten parat hat:



Buchempfehlung: Das Ende der Megamaschine

Bildergebnis für das ende der megamaschine

Fabian Scheidlers Buch hat mich fasziniert. Es hat mir einen neuen Blickwinkel auf die Geschichte der Menschheit eröffnet. So schreibt er:

"Um die Geschichte der Zivilisation, die gegenwärtig den Erdball dominiert, zu verstehen, müssen wir die Geschichte der Wirkungen der Macht erzählen, der Wunden und Verstörungen, die sie in den Menschen und ihrer Imagination hinterlassen hat."

Er geht dabei auch auf die Entwicklung der großen Weltreligionen ein, von der Herausbildung der autoritären mesopotamischen Religionen zur Jesus-Bewegung bis hin zum Christentum. Die Verquickung von Religion und Macht ist dabei von Anbeginn äußerst spannend, so zum Beispiel:

"Trotz aller Unsicherheiten erkennen wir aber sehr deutlich, dass etwas in den prähistorischen Zeugnissen fehlt: Die Darstellung eines herrschenden übermenschlichen Wesens, das wir als »Gott« bezeichnen würden. Die Idee eines herrschenden Gottes erscheint in der Geschichte erst in dem Moment, wo irdische Herrschaft entsteht und sich konsolidiert.[...] Eine Hymne an den sumerischen Gott Enlil aus dem späten 3. Jahrtausend gibt einen Eindruck davon, wie die metaphysische Welt nach dem Vorbild irdischer Herrschaft geformt wurde:

Die Befehle Enlils sind bei weitem die erhabensten, seine Worte sind heilig, sein Spruch unabänderbar. (…) Alle Götter der Erde beugen sich vor Enlil, dem Vater, nieder, der komfortabel auf dem heiligen Thron sitzt. (…) Die Götter treten vor ihn und gehorchen treu seinen Befehlen.

Wie ein irdischer Herrscher, so verfügt auch ein Gott über einen Thron, ein Reich, sein Wille geschieht, er entscheidet über Sein oder Nichtsein, er ist in der Lage, Strafen zu verhängen, Gnade walten zu lassen und Schuld zu vergeben – wobei Schuld hier zunächst ursprünglich im Sinne von Schulden zu verstehen ist. Die Projektion des Hofstaates im Himmel ist so auffällig, dass man sich fragt, ob sie den Zeitgenossen selbst nicht als zu durchschaubar erschienen sein muss, um wirklich ernst genommen zu werden. Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass die herrschaftliche Religion in Mesopotamien zunächst vor allem von den Eliten selbst zelebriert wurde und nicht wirklich populär war, während sich in der breiteren Bevölkerung ältere Traditionen erhielten.[...] Diese Verschiebung des metaphysischen Bezugssystems ist von enormer Tragweite für die kollektive Imagination. An die Stelle von Kräften, die auf Augenhöhe mit den Menschen eine Beziehung eingehen – Ahnen, »Geister«, »Elementarkräfte« und dergleichen –, trat ein pyramidenförmiges System, das auf der Idee von Befehl und Gehorsam und damit von linearer Machtausübung beruhte. Diese Denkweise hat sich durch alle Säkularisierungen und Demokratisierungen hindurch als prägende Vorstellung vom Kosmos bis in die heutige technokratische Zivilisation fortgesetzt.
Wie wir im 7. Kapitel sehen werden, trat im Laufe der Neuzeit an die Stelle des Herrschergottes der herrschende Mensch, der sich durch Wissenschaft und Technik die Erde untertan macht. Charakteristisch sowohl für die theologische als auch die technokratische Version der Allmacht ist die Vorstellung, dass die Natur – auch die menschliche – beherrscht werden muss und kann. Wie der König seinem Untertan und der Gott seinem Geschöpf befiehlt, so gebietet der Ingenieur über die Natur, die sich seinem Willen fügt."

Geld und Religion machen uns als Menschen erfolgreich

... oder so ähnlich könnte das Fazit lauten zu Yuval Noah Hararis spannender These über das, was uns Menschen so erfolgreich gegenüber anderen Tieren macht:

https://www.ted.com/talks/yuval_noah_harari_what_explains_the_rise_of_humans

Seine Argumente, warum Ideen und Imagination so machtvoll sind, klingen durchaus überzeugend, auch wenn die Vergleichbarkeit der Konzepte von Geld und Religion nicht auf allen Ebenen funktioniert. Vertrauen in den Wert von Geld als Tauschmittel basiert auf konkreterer Erfahrung als das Vertrauen in einen Gott. Aber vermutlich kann man sein Vertrauen in das globale Finanzsystem ebenso verlieren, wenn man sich näher damit beschäftigt, wie in Gott, wenn man sich tiefer mit Religion auseinandersetzt.

Religion und Gewalt

Interessanter, auch wenn recht akademischer Vortrag:

https://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuelles/2011/apr/News_Film_Vortrag_Jan_Assmann.html

Bekanntermaßen ist die religiöse Identität des Judentums eng mit der politischen Identität und sogar der geographischen Verortung verknüpft. Religion und Politik lässt sich im Alten Testament kaum voneinander trennen und ein einheitlicher Glaube mit einem Gott und der Legende der zwölf Stämme diente klar politischen Zwecken. Die Verbindung von Monotheismus, Paradiesvorstellungen und Gewalt finde ich hier sehr gut dargelegt. Ob sich das auftrennen lässt, indem man sich von absoluten und exklusiven Glaubensansprüchen verabschiedet, halte ich aber für sehr utopisch. Dafür sind einfache Freund-Feind-Einstufungen und Mottos a la "ich habe recht und du unrecht", "mein Glaube ist der wahre Glaube" zu verlockend. Eine relativierende Sicht auf den eigenen Glauben setzt doch ein hohes Maß an Reife und Souveränität voraus. Nur wer sich nicht durch andere Glaubensansichten, Weltanschauungen und Lebensentwürfe bedroht sieht, kann die notwendige Tolerenz anderen gegenüber aufbringen. Und so wie im Altertum Religion instrumentalisiert wurde, um dem Volk Israel eine konstruierte besondere Identität zu verleihen, so wird eben auch heute Religion instrumentalisiert. Ob von machthungrigen Politikern oder Einzelpersonen, die um Orientierung und Anerkennung ringen. Insofern führt Religion zu Freund-Feind-Denken und Gewalt sowie Gewalt, Unsicherheit und Ausgrenzung wiederum zu Glauben als Identitäts-Krücke und Ego-Kompensation. Nur durch Bildung, Wohlstand, Respekt und Gerechtigkeit lässt sich vermutlich dieser Teufelskreis durchbrechen. Die Aufklärung über die historischen Ursprünge von Judentum, Christentum und Islam kann auch schon helfen, eine etwas moderate Position zum eigenen Glauben einzunehmen. Schön wär´s zumindest. Denn Aufklärung ist leichter zu realisieren als Länder-, Rassen-, Kulturen-, Religionen-, Schichten- usw. -übergreifende Gerechtigkeit und Anerkennung.


Angriff auf die religiöse Freiheit, der Papst & Charlie Hebdo



Auf die Gefahr hin, diese Dinge hier in grober Weise miteinander zu vermischen:

Am 07. Januar 2015 verüben islamistische Terroristen unter Ausrufen von "Allahu Akbar" ( "Gott ist groß") ein blutiges Attentat gegen das französische Satiremagazin Charlie Hebdo. In diesem wurden wiederholt Karikaturen von Mohammed veröffentlicht.

Am 15. Januar 2015 erklärt Papst Franziskus gegenüber Journalisten: „Viele Menschen ziehen über Religion her, das kann passieren, hat aber Grenzen. Jede Religion hat eine Würde, und man kann sich darüber nicht lustig machen.[…] Wenn Dr. Gasbarri, mein lieber Freund, meine Mama beleidigt, erwartet ihn ein Faustschlag. Denn man kann den Glauben der anderen nicht herausfordern, beleidigen oder lächerlich machen.“ 

Am 27. Januar 2015 hält die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage eine Pressekonferenz ab, in der unter anderem die Apostel Christofferson, Oaks und Holland ihre Unterstützung für Anti-Diskriminierungs-Gesetze in Sachen Wohnungsbeschaffung sowie Beschäftigung gegenüber Homosexuellen bekunden, im Gegenzug jedoch vor dem Angriff auf die religiöse Freiheit warnen und entsprechenden Schutz verlangen.

Wo ist der Zusammenhang? Es ist die Frage: Darf Religion im Namen Gottes oder der Religionsfreiheit universelle Tabus aufstellen, die Meinungsfreiheit einschränken oder gar diskriminieren? Ist – wie uns die Mormonen-Führer glauben machen wollen – die religiöse Freiheit oder doch eher die Freiheit der Kunst und Presse in Gefahr? Oder gar die abendländische Kultur, wie Pegida uns weismachen will? Oder ist das wirklich dringende Problem religiös motivierte Gewalt und Terror?

Etwas praktischer gesprochen: Dürfen Ärzte gezwungen werden, Abtreibungen durchzuführen oder lesbische Paare künstlich zu befruchten? Oder wie im Hobby Lobby-Fall, der vor dem obersten US-Gericht landete, wonach Familienunternehmen nicht gezwungen werden dürfen, für die Krankenversicherung ihrer weiblichen Mitarbeiter zu zahlen, wenn diese Verhütungsmittel abdeckt. Im öffentlichen Leben ist es eigentlich ziemlich klar, dass religiöse Weltanschauungen und Gefühle keine Form von Diskriminierung erlauben. Darf ich als Fotograf aus religiösen Gründen den Auftrag ablehnen, die Hochzeit eines homosexuellen Paares abzulichten? Nein, natürlich nicht. Man muss nur homosexuell durch farbig, jüdisch oder muslimisch ersetzen. Wir wären entsetzt, wenn die Hautfarbe oder Ethnizität ein Grund sein dürfte, um Kunden nicht bedienen zu können. Warum soll die Sexualität ein Grund für Diskriminierung im öffentlichen Leben sein dürfen? Wohl kaum. Das hat nun endlich auch die Mormonen-Führung erkannt und akzeptiert – ohne sich natürlich zu entschuldigen oder zuzugeben, dass sie sich jahrelang durch Prop 8 & Co. dagegen gestemmt hat.

Wovor hat die Mormonen-Kirche dann jetzt noch Angst? Natürlich weiß sie, dass letztlich fast alle Kirchen in ihren Grundsätzen und Praktiken diskriminieren. Nur wenige Religionen haben keine expliziten Regeln im Hinblick auf geschlechtliche Praktiken, Beziehungen und Rollen. Natürlich werden in unseren Breiten keine Mormonen davon abgehalten, ihre Kirchenversammlungen zu besuchen. Sie werden nicht davon abgehalten, auf ihre Weise zu beten, ulkige Unterwäsche zu tragen oder von Freimaurern abgekupferte Rituale abzuhalten. Sie werden nicht gezwungen, vor der Heirat Sex zu haben, Alkohol oder gar Kaffee zu trinken oder Bücher von Christopher Hitchens, Sam Harris oder Bart Ehrman zu lesen. Und noch gibt es keinen Anlass, zu fürchten, dass die Kirche gezwungen werden könnte, gleichgeschlechtliche Ehen zu schließen oder Frauen das Priestertum zu übertragen. Selbst die Exkommunikation von Kritikern, Feministinnen oder Homosexuellen, die nicht zölibatär leben, wird ihnen nicht untersagt. Kein Gesetz untersagt es der Kirche, ihre eigenen Mitglieder zu belügen, Minderjährige zu indoktrinieren oder ihren männlichen Kirchenführern zu gestatten, allein im stillen Kämmerlein 14-jährigen Mädchen intime Fragen zu stellen.

Aber ja, das mag sich eines Tages wandeln. Denn die Abwägung zwischen religiöser Freiheit und Grenzen für religiös motivierter Diskriminierung, Unterdrückung, Manipulation und Gewalt ist schwierig und ändert sich über die Zeit. Wo ist die Grenze der erlaubten Genitalverstümmelung bzw. Beschneidung? Was genau macht eine Zwangsheirat aus? Wo ist die Grenze zulässiger patriarchalischer Autoritätsausübung gegenüber emotionaler Misshandlung und psychischer Gewalt? Bis zu welchem Grad dürfen Eltern ihren Kindern medizinische Hilfe vorenthalten?

Aber bitteschön, das hat nichts mit Einschränkung der Religionsfreiheit oder Diskriminierung von Gläubigen zu tun! Allein der Versuch, die Diskriminierung von Homosexuellen oder Farbigen mit dem möglichen Verletzen von Gefühlen von Gläubigen zu vergleichen, ist unanständig. Ja, der orthodoxe Taxifahrer mag davon abgestoßen sein, wenn sich ein homosexuelles Pärchen auf dem Rücksitz inniglich küsst. Das ist jedoch nichts im Vergleich zu den Auswirkungen der Verfolgung und Ausgrenzung, die Homosexuelle viel zu lange erleiden mussten und in vielen Regionen der Welt noch immer tun. Ein gewisses Unwohlsein aufgrund der ‚sündigen‘ Welt ist in keiner Weise vergleichbar mit Zwangskastration, Gefängnis, Folter & Co. Kein noch so übertriebenes Beispiel religiöser Freiheitsbegrenzung ist auch nur annähernd vergleichbar mit dem Leid und der Diskriminierung von Homosexuellen. Kein Mormone muss sich in unseren Breiten sorgen, wegen seinem Glauben die Arbeit zu verlieren, ins Gefängnis geworfen oder zwangssterilisiert zu werden. Wie viele Gläubige begehen Selbstmord, weil sie von Freunden und Familie ausgestoßen werden? Das ist doch keine wirkliche Diskriminierung, allenfalls Unverständnis und vielleicht hin und wieder Belustigung. Daher ganz klar: in Sachen Anerkennung von Homosexualität und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sollte religiöse Freiheit keinen Vorrang genießen.

Die Grenze zwischen religiöser Diskriminierung und Freiheit ist dabei nicht immer klar und einfach definierbar. Wir sehen dies auch an der Diskussion um Ächtung und Verbot von Schleiern und Burkas. Hier bin ich beispielsweise eher auf Seiten der religiösen Freiheit, auch wenn ich das Symbol und die Botschaft durchaus kritisch sehe. Und zwar sowohl im Hinblick auf die Sicht auf Frauen als auch Männer. Werden Frauen dadurch nicht erst recht zu Sexobjekten gemacht, wenn man sie verschleiern muss? Männer zu kaum zügelbaren Sexmonstern deklariert? Und Frauen wiederum die Schuld gegeben, wenn Männer ihnen gegenüber Gewalt ausüben? Denn hat die Frau dies nicht durch ihre Kleidung oder ihr Verhalten provoziert? Muslimen diese Form des religiösen Ausdrucks zu gewähren, tut mir jedoch nicht weh und grenzt allenfalls meine Freiheit ein, das Haar oder Gesicht der Personen betrachten zu können. Und klar, bei einer Burka ist die soziale Interaktion schon sehr eingeschränkt. Aber ein Verbot halte ich dennoch nicht für gerechtfertigt. Denn die Einschränkung meiner Freiheit ist doch minimal. Anders bei Unternehmen, die wiederum das Recht haben sollten, in berechtigtem Rahmen gewisse Kleiderordnungen für die Angestellten aufstellen zu können. Nur müssen fairerweise diese Regelungen für jede Art der Vermummung und Kleidung gelten, egal, ob religiös oder nicht-religiös motiviert. Beispielsweise kann man nicht ein Kopftuch verbieten, jedoch Beanie-Mützen erlauben. Oder einen Bart nur dann zulassen, wenn dieser aus religiösen Gründen wachsen gelassen wird.

Noch einmal zurück zur LDS-Pressekonferenz: In bekannter Manier wurden da natürlich mal wieder die Fakten verdreht. Oaks sagte: “Doch heute sehen wir immer häufiger neue Beispiele für Angriffe auf die Religionsfreiheit. Unter ihnen sind die Folgenden:. . . Kürzlich, in einer der größten Städte der USA, verlangten Regierungsbeamte Einsicht in die Predigten und Notizen von Pastoren, die aus religiösen Gründen gegen ein neues Gesetz waren. Diese Pastoren sahen sich nicht nur mit Einschüchterung konfrontiert, sondern auch strafrechtlicher Verfolgung, weil sie verlangten, dass eine neue Homosexuellen-Rechtsverordnung zur Abstimmung der Bürger gestellt werden sollte.“

Oaks vergas zu erwähnen, dass die Pastoren in Houston gegen ‚Houston Equal Rights Ordinance (“HERO”)’ waren, womit Diskriminierung gegenüber Homosexuellen und Transsexuellen im Bereich der Arbeit und  Wohnungswirtschaft verboten werden sollte. Er vergas auch zu erwähnen, dass die Kampagne der Pastoren deshalb scheiterte, weil diese seitenweise Unterschriften gefälscht hatten. Der wahre Skandal ist doch wohl, dass religiöse Führer nicht vor massivem Betrug zurückschreckten, um ein demokratisch verabschiedetes Gesetz zum Schutz vor öffentlicher Diskriminierung zu Fall zu bringen.

Wenn diese Pastoren nun zusehen müssen, dass Homosexuelle nicht mehr einfach entlassen werden dürfen, weil sie schwul sind, so ist das in keinster Weise vergleichbar mit dem, was die Opfer von Taliban, Boko Haram und IS erleiden. Nicht Religionsfreiheit ist in Gefahr, sondern die Presse- und Meinungsfreiheit. Dass Kritik an Religionen und der Umgang mit religösen Symbolen in der Kunst mitunter geschmacklos und herabwürdigend erfolgt, steht außer Frage. Ja, es sollte eine selbstverständliche Form des Respekts sein, sich anständig und würdevoll in Gotteshäusern zu verhalten. Auch wenn ich die alttestamentlichen Speiseregeln für noch so unsinnig erachte, respektiere ich diese natürlich dennoch, wenn mich beispielsweise ein gläubiger Jude zum Essen besuchen sollte. Selbiges würde genauso für Frutarier gelten. Moralisch harmlose Traditionen, Bräuche und Gewohnheiten sollten wir respektieren. Aber wir sollten die moralisch gefährlichen und verwerflichen Missbräuche von Ritualen und Weltanschauungen in Frage stellen und kritisieren dürfen. Sie haben unseren Respekt, unsere Achtung nicht verdient. Und auch Agnostiker, Atheisten und Humanisten haben Rechte. Sie haben das Recht, ihre Abscheu vor Aberglauben und irrationalen Traditionen kundzutun. Gläubige sollten das Recht haben, zu glauben, was sie wollen – und sei es noch so absurd, widersprüchlich und unbeweisbar. Aber Ungläubige dürfen auch diese Aussagen hinterfragen und ja auch darüber lachen. Beide Rechte enden da, wo sie einander vernichten wollen und wo sie Gewalt verursachen. Das Verletzen von religiösen Gefühlen alleine ist hingegen keine Gewalt und keine Diskriminierung. Es kann jedoch unangebracht, respekt- und geschmacklos sein. Dies darf aber nicht verwechselt werden mit wirklicher Diskriminierung und Gewalt. Nur weil ich mich in meinen religiösen Gefühlen verletzt und beleidigt fühle, rechtfertigt dies keine Art von Gewalt. Genauso mag sich ein durchschnittlicher Sachse in seiner abendländischen Kultur durch Kopftücher und Döner bedroht fühlen. Aber auch diese verletzten Gefühle sind keine Rechtfertigung für Diskriminierung und Gewalt. Unverzichtbar ist hierbei allenfalls das Recht und die Pflicht, Anschauungen, Vorstellungen, Argumente, Methoden, Institutionen und Autoritäten zu hinterfragen. Es darf kein Tabu geben, Religionen zu kritisieren und es darf für Religionen keinen Freifahrtsschein geben, zu diskriminieren oder anderweitig Schaden zuzufügen. Lieber nehme ich dabei unberechtigte, respekt- oder geschmacklose Religionskritik in Kauf als Gehirnwäsche, Folter, Mord und Terror im Namen Gottes.