Lehre und Bündnisse 132 Teil 1: Polygamie, Polyandrie, Vielehe



In der Einleitung zu LuB 132 heißt es:

„Offenbarung, gegeben durch Joseph Smith, den Propheten, zu Nauvoo, Illinois, aufgezeichnet am 12. Juli 1843; sie bezieht sich auf den neuen und immerwährenden Bund einschließlich der ewigen Natur des Ehebundes und auch einer Mehrzahl von Ehefrauen (History of the Church , 5:501–507). Obwohl die Offenbarung 1843 aufgezeichnet wurde, ergibt sich aus den geschichtlichen Aufzeichnungen, daß die in dieser Offenbarung enthaltenen Lehren und Grundsätze dem Propheten seit 1831 bekannt gewesen waren.“

Schon aus der Einleitung ergeben sich 3 kritische Aspekte:

Erstens: Handelte es sich wirklich um eine klassische „Offenbarung“? Wie ist Abschnitt 132 zustande gekommen? 1843 als Joseph Smith heimlich zig Frauen heiratete und Emma nicht begeistert darüber war (wobei sie nur von wenigen der Heiraten etwas mitbekam), schlug Hyrum seinem Bruder Joseph vor, für Emma hierzu eine Offenbarung durch den Urim und Thummim zu erlangen, um sie für den Grundsatz der Vielehe zu gewinnen. Joseph meinte aber, er bräuchte hierzu keine spezielle Offenbarung und hätte das schon alles parat. Daraufhin diktierte er seinem Schreiber (ohne Urim und Thummim) den in Abschnitt 132 enthaltenen Inhalt (wobei nach Aussage von William Law die theologische Einleitung später hinzugefügt wurde). Hiermit ging Hyrum dann zu Emma und sagte später über Emmas Reaktion, er sei noch nie von jemandem so zusammengestaucht worden wie von Emma.

Zweitens: Der Ausdruck „sie bezieht sich auf den neuen und immerwährenden Bund einschließlich der ewigen Natur des Ehebundes und auch einer Mehrzahl von Ehefrauen“ reflektiert die neuere Interpretation des Abschnitts, täuscht aber darüber hinweg, dass bis Ende des 19. Jahrhunderts der neue und immerwährende Bund mit der Mehrehe gleichgesetzt war. Hätte man 1860 ein Mitglied gefragt, was der neue und immerwährende Bund sei, hätte dieses mit Sicherheit geantwortet: das Prinzip der Polygamie. Heute hingegen wird behauptet, die Verse 3-33 würden sich auf die ewige Ehe beziehen und nur die Verse 1-2 und ab Vers 34 mit der Mehrehe. Dies widerspricht dem ursprünglichen Verständnis und auch dem Beweggrund für die „Offenbarung“. Der Abschnitt wurde übrigens erst 1876 dem Buch Lehre und Bündnisse hinzugefügt, als die Kirche wegen der Vielehe unter Beschuss war, sich aber auf die Religionsfreiheit bei der Praxis berief. Nun gab es in den Schriften nichts, worauf die Kirche sich dabei stützen konnte. Also musste das Prinzip der Vielehe als Lehre in die Heiligen Schriften der Kirche reingebracht werden. Und im gleichen Atemzug wurde dann noch die Passage aus Abschnitt 101 herausgenommen, die da lautete: „Da die Kirche der Sünde der Unzucht und Polygamie beschuldigt worden ist, bestätige ich hiermit, dass ein Mann ein Frau haben sollte und eine Frau nur einen Mann, außer im Todesfall, wenn es beiden freisteht wieder zu heiraten." Dies war Teil der systematischen Leugnung der Polygamie in der Kirche unter Joseph Smith. Diese musste nun also „korrigiert“ werden, um sich auf die Religionsfreiheit berufen zu können.

Drittens: Was sind die Anhaltspunkte dafür, dass die enthaltenen Lehren und Grundsätze schon seit 1831 bekannt gewesen waren? Nun, zu dem Zeitpunkt hatten Emma und Oliver Cowdery Joseph in einer Scheune gesehen, wie er intim mit dem Hausmädchen der Smiths, Fanny Alger, war. Dies wird von einigen Kirchenhistorikern als erste Mehrehe Jospehs gesehen. Oliver Cowdery hingegen betrachtete dies als „dreckige Affäre“.

Den wenigsten Mitgliedern ist bewusst, dass Vers 1 in fundamentalem Widerspruch zum Buch Mormon steht (auch wenn das mosaische Gesetz im AT durchaus Nebenfrauen erlaubte):
Wahrlich, so spricht der Herr zu dir, mein Knecht Joseph: Da du von meiner Hand erfragt hast und wissen und verstehen willst, inwiefern ich, der Herr, meine Knechte Abraham, Isaak und Jakob gerechtfertigt habe, und auch Mose, David und Salomo, meine Knechte, was den Grundsatz und die Lehre betrifft, daß sie viele Frauen und Nebenfrauen gehabt haben—siehe, ja, siehe, ich bin der Herr, dein Gott, und werde dir, was diese Sache betrifft, Antwort geben.

So heißt es in Jakob 2:24:
Siehe, David und Salomo hatten wahrhaftig viele Frauen und Nebenfrauen, und das war ein Greuel vor mir, spricht der Herr.

Es war also ein Greuel vor dem Herrn und nicht etwa gerechtfertigt. Dies zeigt, dass Joseph Smith sich nach der Veröffentlichung des Buch Mormons kaum noch mit dessen Inhalt beschäftigt hat. So gibt es in seinen Reden kaum Zitate aus dem Buch Mormon.
In Jakob 2:30 findet sich bekanntlich auch folgende Ausnahmeregel:
Denn wenn ich, spricht der Herr der Heerscharen, mir Nachkommen erwecken will, so werde ich es meinem Volk gebieten; sonst aber soll es auf dies alles hören.

Allerdings traf diese nicht auf David und Salomo zu. Insofern ist die Aussage von LuB 132:1 im Widerspruch zu Jakob 2:24 unabhängig von Vers 30. Inwiefern die Ausnahmeregel von Vers 30 auf Joseph Smith zutreffen könnte ist strittig, schließlich hat er ja viele Frauen geheiratet, die schon verheiratet waren, und mit den anderen hat er wohl Nächte verbracht, aber keine Kinder gezeugt – zumindest waren Gentests mit möglichen Kandidaten bislang negativ. Insofern führten Joseph Smiths Mehrehen nicht dazu, dass Nachkommen erweckt wurden.

Übrigens hatten viele in der Kirche die Hoffnung, dass Joseph Smiths erstgeborener Sohn im Bund – David – später die Führung der Kirche übernehmen würde. Er hatte von seinem Vater entsprechende Verheißungen erhalten. Allerdings wurde er als Erwachsener in ein Irrenhaus eingeliefert und verbrachte dort den Rest seines Lebens.

Ein weiteres Problem findet sich in Vers 7. Hier wird klargestellt, dass nur Joseph Smith die Siegelungsvollmacht besitzt und auch immer nur einen geben wird, der diese Macht innehat. Mittlerweile hingegen gibt es in jedem Tempel etliche Männer, denen diese Macht übertragen wurde, auch wenn sie nicht die Schlüssel tragen (wobei auch diese mittlerweile nicht nur der Präsident, sondern auch die Zwölf Apostel besitzen sollen).

Das Beste ist jedoch Vers 8, wo es heißt:
Siehe, mein Haus ist ein Haus der Ordnung, spricht der Herr, Gott, und nicht ein Haus der Verwirrung.
In Bezug auf kein anderes Prinzip oder Lehre gibt es vermutlich so viel Konfusion wie die Vielehe. Die Kirche hat noch immer keine klare Stellung dazu bezogen, ob die Vielehe zu späterer Zeit oder im Himmel praktiziert werden wird. Oder ob die Vielehe wirklich vom Herrn geboten und korrekt praktiziert wurde. Es gibt nur die Aussage aus der Amtlichen Erklärung 1:
Da nun der Kongreß Gesetze erlassen hat, die die Vielehe verbieten, und da das höchste Appellationsgericht diese Gesetze als verfassungsgemäß bezeichnet hat, erkläre ich hiermit meine Absicht, mich diesen Gesetzen zu fügen und bei den Mitgliedern der Kirche, deren Präsident ich bin, meinen Einfluß geltend zu machen, daß sie es auch tun.

Vers 16 stellt in Frage, warum heutzutage Siegelungen für Verstorbene durchgeführt werden. Schließlich können laut Vers 16 Tote nicht verheiratet werden. So begannen Siegelungen für Verstorbene oder an Verstorbene auch erst nach Joseph Smiths Tod. Der Hammer ist die Aussage, dass Alleinstehende dann – obwohl fürs celestiale Reich qualifiziert – nur mehr dienende Knechte sein können. Da geht es denen im terrestrialen Reich vermutlich besser. Dies macht auch Joseph Smiths Verklärung des Mittelalters deutlich, denn er sah offensichtlich den Himmel als Zustand, wie sie Adlige im Mittelalter erlebt haben mit Thronen, Reichen und Mächten sowie eben Knechten. Gärtner, Koch und Wäschefrau wären schon toll, aber braucht man die wirklich als Götter, wenn man den Elementen befehlen kann. Oder kann man nur Berge verrücken? Wobei es ja nicht einmal Berge gibt, denn die Erde wird ja wie ein großer Urim und Thummim sein.

Im Ernst: bleiben sich liebende Paare wirklich wie in Vers 17 beschrieben gesondert, nur weil sie nicht im Tempel geheiratet haben? Eine merkwürdige Vorstellung eines liebenden Gottes.

Tröstlich ist hingegen Vers 19, wo es heißt, dass quasi alle, die im Tempel richtig gesiegelt werden, ins celestiale Reich kommen, solange sie keinen Mord begehen, wodurch unschuldiges Blut vergossen würde. Ein Mord mit schuldigem Blut ist also okay. Daher hatte ja vermutlich Joseph Smith auch Porter Rockwell beauftragen können, den Ex-Gouverneur von Missouri zu erledigen, was ihm auch beinahe gelungen war. Und die Greueltaten der von Joseph Smith befehligten ‚Danites‘ waren sowieso in Ordnung. Allerdings muss man nach Vers 26 schon mit einigen Schlägen Satans rechnen. Aber wie soll das genau funktionieren? Satan wird auf irgendeinen anderen Planeten wie dem Mars oder Jupiter verstoßen. Und alle bösen Gesiegelten kommen dann dorthin in eine Art Folterkeller, wo sie werden körperlich, also im Fleisch,  gepeinigt werden (wo doch die katholische Kirche 2007 offiziell die Vorhölle abgeschafft hat). Interessant, dass wir nach der Auferstehung trotz vollkommenem, unsterblichen Körper noch fleischliche Schmerzen erleiden können. Vielleicht werden die Nervenzellen nur vorübergehend aktiviert. Schlimmer noch als diese Ungereimtheiten ist die Vorstellung, dass Leiden eine erlösende Wirkung haben soll. Oder macht Gott das nur, weil ein universelles Gesetz besagt, dass man für Sünden leiden müsse? Oder weil sich sonst die Rechtschaffenen beschweren würden, wenn es keine Strafe für die Sünder gäbe? Dem Bestrafen als erzieherisches Mittel kann ich wenig abgewinnen. Letztlich sorgen noch so viele Schläge nicht dafür, dass Menschen dadurch gut und liebevoll werden. Höchstens dass sie aus Angst vor Strafe sich in bestimmter Weise verhalten. Dieser verkorksten Vorstellung entstammt auch die mittlerweile widerrufene Lehre Joseph Smiths und anschließend insbesondere Brigham Youngs der Blutsühne, wonach Abtrünnige Mitglieder nurmehr dadurch errettet werden können, wenn ihr Blut vergossen wird (denn das Sühnopfer Jesu Christi sei hierfür nicht mehr ausreichend), was die Ermordung mehrerer Abtrünniger, Feinde der Kirche und sogar mehrerer Mitglieder, die in Utah Ehebruch begangen hatten, nach sich zog.

Eine weitere Ausgeburt dieser Idee ist die Lehre etlicher Kirchenführer nach Brigham Young, dass die Kinder von im celestialen Reich gelandeten gesiegelten Paaren ebenfalls errettet werden, auch wenn diese abgefallen sind. Und natürlich müssen die abgefallenen Kinder für ihre Sünden eine zeitlang leiden - egal, welchen Sinn das erfüllen soll. Aber Strafe muss halt sein. Auch hier darf man diese Lehre nicht tiefer hinterfragen, beispielsweise ob das gerecht ist gegenüber den Kindern, die nicht das Glück hatten, glaubenstreue Mormonen-Eltern gehabt zu haben. Oder landen letztendlich doch alle Menschen im celestialen Reich? Das allerdings widerspricht wiederum Vers 22, wonach nur wenige den Weg zur Erhöhung und zur Fortsetzung der Leben finden.Wie Vers 19 erklärt ist das eine Fortsetzung der Samen. Also nur wer mit Partner gesiegelt erhöht wird, kann Geistkinder zeugen, und ist dann ein Gott:
Dann werden sie Götter sein, weil sie alle Macht haben und die Engel ihnen untertan sind. (Vers 20) Erhöhung heißt also, Kinder ohne Ende zeugen und Untertanen haben zu können. Das mit dem Götter werden wird nicht mehr ganz so betont, weil das doch viele Vorwürfe der Gotteslästerung und Anmaßung hervorgerufen hat. Demnach gibt es also viele Götter, aber wir verehren nur unseren jeweiligen 'Erzeuger-Gott'.

In Vers 29 findet sich dann eine weitere problematische Aussage: Abraham ist in seine Erhöhung eingegangen und sitzt auf seinem Thron. Hat denn das Gericht schon stattgefunden? Oder wurde für ihn ein Sondergericht abgehalten? Sollte das Gericht nicht erst nach dem Millenium erfolgen? Wobei das Millenium ja nach Aussage Brigham Youngs mit der Ermordung Joseph Smiths begonnen haben soll.