Das Weihnachtsmärchen



Schauen wir uns mal an, was die Evangelien über die Geburt Jesu zu berichten haben:

Bei Markus, dem ältesten Evangelium, fehlt die wundersame Geburtsgeschichte. Hier wird Jesus erst mit seiner Taufe zum Gottessohn erklärt. Dies legt nahe, dass die Geburtsgeschichte erst später hinzugedichtet wurde. Schließlich waren wundersame Geburtsgeschichten sozusagen Markenzeichen von Göttern der Antike. Und da durfte Jesus ja nicht ins Hintertreffen geraten.

So wird die Geburt von Apollonius von Tyana folgendermaßen beschrieben: Als seine Mutter der Geburt entgegensieht, erscheint ihr eines Tages eine hohe Engelsgestalt, die hell leuchtet. Der Engel gibt sich als Proteus, der ägyptische Gott, zu erkennen und kündet seine Vaterschaft an. Die Geburt selbst findet an einem außergewöhnlichen Ort statt: Kurz vor der Geburt hat seine Mutter einen Traum, in dem die Weisung erhält, in die Wiesen hinauszugehen. Von allen Seiten kommen Schwäne herangeflogen und lassen zusammen mit einem milden Südwestwind einen Gesang ertönen; dann fällt ein mächtig aufleuchtender Blitz auf sie hernieder. Von da an, heisst es, wurde Apollonius ein Sohn Gottes genannt.

Bei Matthäus wurde Maria durch das Wirken des Heiligen Geistes schwanger woraufhin Josef im Traum ein Engel erscheint und ihm nahelegt, Maria dennoch zu heiraten und dem Kind den Namen Jesus zu geben. Nach Matthäus lebte das Paar in Bethlehem. Rund ein Jahr nach der Geburt Jesu kamen die Sterndeuter, Josef erschien wiederum ein Engel im Traum, woraufhin sie nach Ägypten flohen, um dem  von Herodes befehligten Kindermord  zu entgehen. Als Herodes gestorben war, erschien Josef erneut ein Engel im Traum und sie zogen zurück, aber nicht nach Bethlehem, sondern nach Nazaret in Galiläa.

Bei Lukas schließlich leben Maria und Josef von Anfang an in Nazaret und reisten nur wegen der Volkszählung nach Bethlehem, wo Jesus geboren wurde und Heerscharen von Engeln Hirten erschienen, die daraufhin nach Bethlehem gingen, um das Baby zu sehen.

Ja, was denn jetzt? Die beiden Evangelien Matthäus und Lukas widersprechen sich somit fundamental in Bezug auf so gut wie alle Umstände der Geburt bis auf den Geburtsort Bethlehem und die spätere Heimatstadt Nazaret. Beide Autoren versuchten allem Anschein irgendwie zu erklären, warum Jesus der bekanntermaßen aus Nazaret stammte, dennoch in Bethlehem geboren war, weil dies angeblich so im Alten Testament vorhergesagt wurde (Micha 5:1; allerdings nur, wenn man bspw. Vers 5 ignoriert, wo der prophezeite Führer als Kriegsheld dargestellt wird). Dummerweise haben sie sich die beiden Autoren bei ihrer Erklärung nicht abgesprochen. Trotz der Widersprüche wurden einfach beide Versionen vermengt und so treffen sich jetzt in Krippen die Hirten mit den Sterndeutern. Doch damit nicht genug: Auch die weiteren Elemente der Geschichte erweisen sich als Potpourri antiker Götterlegenden und alttestamentlicher Motive. Dies zeigt sich in vielen Details:

1. Historische Unstimmigkeiten

  • Kein römischer Kaiser hat jemals einen so unsinnigen Völkerwanderungsbefehl gegeben von ihrem Wohnort zu den jeweiligen Heimatstädten und zurück, um gezählt zu werden. Eine Volkszählung hingegen hat es im Jahr 6 n.Chr. gegeben.
  • Josephus berichtet von vielen Grausamkeiten des Herodes, aber nicht von einer massenhaften Kindestötung in Bethlehem.

2. Heidnische Motive

  • Sterne können kaum auf ein bestimmtes Gebäude zeigen, da sie viele Lichtjahre entfernt sind. Sterne als Zeichen für die Geburt herausragender Persönlichkeiten war in der Antike ein weit verbreitetes Motiv.
  • Göttliche Vorankündigungen der Geburt  waren der vorchristlichen Welt wohlvertraut. Das bezeugen auch die so genannten »Religionsgespräche am Hofe der Sassaniden«: „Herrin, sprach eine Stimme, der große Helios hat mich abgesandt zu dir als Verkünder der Zeugung, die er an dir vollzieht … Mutter wirst du … eines Kindleins, dessen Name ist ›Anfang und Ende‹.“
  • Die verschiedensten Sagen erzählen von Göttersöhnen, die aus der Vereinigung Gottes mit einer irdischen Frau entstanden sind: Amon-Re, Herakles, Asklepios u.a.
  • Das Motiv der reisenden Mutter, die keinen Platz fi ndet, ihr Kind zu gebären findet sich auch bei Leto, der Mutter Apollos, wieder.
  • Das Kind in der Krippe erinnert an Dionysos in der Wiege, in der Getreideschwinge.
  • Der Tötungsbefehl des Herodes findet eine Parallele im Befehl des Mederkönigs Astyages, den neugeborenen Kyros zu töten.
  • Lichterscheinungen in der Nacht sind Teil vieler Mysterienfeiern: „Mitten in der Nacht sah ich die Sonne strahlend im leuchtenden Licht“, heißt es von der Isisweihe. In Eleusis lautet der Jubelruf der Hierophanten: „Einen heiligen Knaben gebar die Herrin“, bei der hiervon abhängigen alexandrinischen Aionfeier: „In dieser Stunde, heute, gebar die Jungfrau den Aion“, und: „Die Jungfrau hat geboren, das Licht geht auf.“ Bei Osiris heißt der Ruf: „Der Herr aller Dinge geht ans Licht hervor … ein großer König und Wohltäter, Osiris, ist geboren“, und im Herrscherkult: „Ein König ist euch geboren…und er nannte ihn Charilaos, weil alle sehr froh wurden.“
  • Die Erwartung eines Messias war keine rein jüdische Vorstellung. In Babylonien und Ägypten war die Vorstellung von einem kommenden Retter und einer seligen Endzeit bekannt. Zarathustra sprach vom kommenden Gottesreich und über Ramses den IV. heißt es:
  • „Welch schöner Tag! Himmel und Erde freuen sich, (denn) du bist der große Herr von Ägypten. Die geflohen waren, sind wieder zu ihren Städten gekommen, und die verborgen waren, sind wieder hervorgekommen. Die da hungerten, sind gesättigt und fröhlich, und die da dursteten, sind trunken. Die da nackt waren, sind in feines Linnen gekleidet, und die da schmutzig waren, haben weiße Kleider. Die im Gefängnis waren, die sind freigelassen, und wer gebunden war, der ist voll Freude. Die da stritten in diesem Land, die sind zu Friedlichen geworden. Große Nile sind aus ihren Höhlen gekommen, daß sie das Herz der andren erfrischen.“
  • Auch der assyrische König Assurbanipal (668–626 v. Chr.) wurde als der erwartete Heilbringer und Gottessohn gefeiert, mit dessen Regierung das neue Zeitalter beginne. „Die Kinder singen, die Frauen gebären leicht, die Kranken genesen, die Greise hüpfen, die Hungrigen werden gesättigt und die Nackten bekleidet.“

3. Spätere Veränderungen

  • Je später das Evangelium geschrieben wurde, um so ausgeschmückter wurde berichtet. Bspw. wurde aus der Engelserscheinung im Traum eine reale Erscheinung und der Engel hatte auch einen Namen usw.
  • Die Stammbäume zeigen Josef als Linie, stammen also wohl noch aus der Zeit, als er als der leibliche Vater Jesu galt.
  • Passagen wie Markus 6:4 („Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie.“), Markus 3:21, Matth. 12:46 ff. oder Johannes 7:5 widersprechen der den Eltern bei der Geburt bekannten Berufung Jesu.

4. Darstellung als prophetische Erfüllung und alttestamentliche Anlehnungen

  • Die Prophezeiung in Matth. 2:23 gibt es nirgendwo, bezieht sich vermutlich auf ein irrtümliches Verständnis von Jesaja 11:1 (Nezer = junger Trieb).
  • Der ägyptische Aufenthalt beruht ebenfalls auf einem Missverständnis: Hosea 11:1 handelt nicht vom Messias, sondern vom Volk Israel.
  • Eine weitere „Erfüllungssage“ ist die des Kindermordes durch Herodes, wodurch sich Jeremia 31:15 erfüllt haben soll, wenngleich hierbei von Rama die Rede ist, welches auf der ganz anderen Seite von Jerusalem liegt. Vermutlich hat sich der Autor von Matthäus von der Mosegeschichte inspirieren lassen, der ja Ägypten zeitweilig verlassen musste (vergleiche Exodus 4:19 mit Matth. 2:20).
  • Lukas 1:31 ff. scheint in Anlehnung an Genesis 16:7 ff., Genesis 17:19 und Richter 13:3 ff. geschrieben worden zu sein.
  • Die Berufungsgeschichte Marias in Lukas 1 folgt dem üblichen alttestamentlichen Schema: 1. Berufung, 2. Einwand, 3. Beseitigung der Bedenken, 4. Beglaubigungszeichen (siehe bspw. Exodus 3:10-12).
  • Die Verheißung in Jesaja 7:14 bzgl. einer jungen Frau, die schwanger werden, gebären und ihren Sohn Immanuel nennen werde, kann wohl kaum auf Maria und Jesus gemünzt gewesen sein, da Vers 15 und 16 von der unmittelbaren Eroberung durch die Assyrer spricht. Und Immanuel hat Maria ihren Sohn auch nicht genannt.
  • Die Lobpreisung Marias in Lukas 1:46-55 ist ein Sammelsurium alttestamentlicher Zitate (1. Samuel 2:1, Habakuk 3:18, Genesis 30:13, Psalm 110:9, 103:17,18, 89:11, 2. Samuel 22:28…). Kaum Vorstellbar, dass diese Zusammenstellung von Maria stammt, wohl aber von einem Autor, der krampfhaft Jesus als alttestamentlichen Messias darstellen will. Genauso ist der Gruß Elisabeths in Lukas 1:42 ein Zitat aus Richter 5:24.

Übrigens war der Engel Gabriel kein so friedlicher Genosse, wie ihn die Weihnachtsgeschichte darstellt. Laut Daniel im Alten Testament hat er Kriege unter den Engeln geführt: „Er sagte: Weißt du, warum ich zu dir gekommen bin? Ich muss bald zurückkehren und mit dem Engelfürsten von Persien kämpfen. Wenn ich mit ihm fertig bin, dann wird der Engelfürst von Jawan kommen.“ (Daniel 10:20)

Und was ist mit der Davidsohnschaft Jesu? Die Stammbäume in den Evangelien widersprechen sich gegenseitig und führen beide am Ende Josef statt Maria auf. Und ist die Abstammung von David wirklich so erstrebenswert? So war David bevor er König wurde ein Plünderer und Räuber. Er ließ als König zwei Söhne und fünf Enkel Sauls hinrichten, um eine Hungersnot abzuwenden, aber wohl eher, um potenzielle Rivalen auszuschalten. Und wie passt der Fluch nach seinem Ehebruch („Darum soll jetzt das Schwert auf ewig nicht mehr von deinem Haus weichen“ 2. Sam. 12:10) mit einem von ihm abstammenden Friedenskönig zusammen?

So anrührend die Weihnachtsgeschichte nach Lukas auch sein mag, bei näherer Betrachtung entpuppt sie sich als überwiegend legendenhaft und unhistorisch. So wie wir längst wissen, dass das Weihnachtsfest selber heidnischen Ursprungs ist - wurde doch am 25. Dezember, dem Tag der Sonnenwende, seit jeher die Geburt des Mithras und auch die Geburt von Osiris, dem Sonnengott Ägyptens, gefeiert. Aber nun müssen wir auch feststellen, dass nicht nur Weihnachtsmann und Stollen für das Christentum adaptiert wurden, sondern gar die Lukassche Weihnachtsgeschichte nur die phantasievolle Zusammenstellung antiker (Halb-) Götter-Geburtsgeschichten darstellt.

Almosen geben oder Armut besiegen

Uwe Lehnert schreibt: „So bewun­derns­wert und aner­ken­nens­wert das Eintreten für den im Augenblick hilfs­be­dürf­ti­gen Mitmenschen ist, ebenso wich­tig und lang­fris­tig noch wich­ti­ger wäre ein Nachdenken über das was Not und Elend her­vor­bringt. An die­ser Stelle hat die Kirche über die Jahrtausende ver­sagt, über Ursache und Abhilfe hat sie sich nie Gedanken machen wol­len.“

Oder Margrit Kennedy (Geld ohne Zinsen und Inflation, S. 75ff.):
"Im Laufe der Geschichte haben viele politische und religiöse Führer, wie Moses, Aristoteles, Jesus, Mohammed, Luther, Zwingli und Gandhi, versucht, die soziale Ungerechtigkeit, die der kontinuierliche Bezug von Zinsen verursacht, durch entsprechende Hinweise oder ein Verbot von Zinszahlungen zu verhindern. So steht in Moses 22,24: "Wenn du deinem Bruder, einem Armen, Geld leihst, so sollst du ihm gegenüber nicht wie ein Wucherer handeln. Ihr dürft ihm keinen Zins auflegen." (31) Und Aristoteles sagte in Politik 1,3: "Der Wucherer ist mit vollstem Recht verhaßt, weil das Geld hier selbst die Quelle des Erwerbs ist und nicht dazu gebraucht wird, wozu es erfunden ward. Denn für den Warenaustausch entstand es, der Zins aber macht aus Geld mehr Geld. Daher auch sein Name (Geborenes). Denn die Geborenen sind den Erzeugern ähnlich. Der Zins aber ist Geld von Geld, so daß er von allen Erwerbszweigen der Naturwidrigste ist." (32)
Übersetzt man den griechischen Urtext wörtlich, so steht bei Lukas 6,35 "Leihet, ohne etwas dafür zu erhoffen" (33), und das Konzil von Nicäa im Jahr 325 nach Chr. verbot allen Klerikern das Zinsnehmen. Die Strafe bei Übertreten des Verbotes war die sofortige Entfernung aus dem Amt. 1139 beschloß das zweite Lateranskonzil: "Wer Zins nimmt, soll aus der Kirche ausgestoßen und nur nach strengster Buße und mit größter Vorsicht wieder aufgenommen werden. Einem Zinsnehmer, der ohne Bekehrung stirbt, soll das christliche Begräbnis verweigert werden.
Martin Luther (1483-1546) wendete sich in mehreren Schriften leidenschaftlich gegen Wucher und Monopole: "Darum ist ein Wucherer und Geizhals wahrlich kein rechter Mensch; er sündigt auch nicht eigentlich menschlich. Er muß ein Werwolf sein, schlimmer noch als alle Tyrannen, Mörder und Räuber, schier so böse wie der Teufel selbst. Er sitzt nämlich nicht als ein Feind, sondern als ein Freund und Mitbürger im Schutz und Frieden der Gemeinde und raubt und mordet dennoch greulicher als jeder Feind und Mordbrenner. Wenn man daher die Straßenräuber, Mörder und Befehder rädert und köpft, um wieviel mehr noch sollte man da erst alle Wucherer rädern und foltern, alle Geizhälse verjagen, verfluchen und köpfen..."
Der Reformator Ulrich Zwingli (1484-1531) ging in Richtung Säkularisierung einen Schritt weiter, indem er einerseits den Zins für ungöttlich und unchristlich erklärt, andererseits dem Staat das Recht zuerkennt, den Zinsfuß festzusetzen.
Sie alle wußten wohl um die Ursache des Problems, boten jedoch keine praktikable Lösung an, wie der Geldumlauf gesichert werden konnte, und damit blieb der grundlegende Fehler im System bestehen. Das Zinsverbot der Päpste im europäischen Mittelalter, auf Grund dessen Christen, die Zinsen nahmen, exkommuniziert wurden, verlagerte beispielsweise das Problem auf die Juden, denen es erlaubt war, von Menschen anderer Religionszugehörigkeit Zinsen zu nehmen. Letztere wurden seit dieser Zeit immer mehr zu den fahrenden Bankiers der Welt. Bereits durch das alte Testament wurde den jüdischen Gemeinden vermittelt, daß Zinsen auf Dauer jeden sozialen Organismus zerstören. Deshalb wurde von alters her das "Jubeljahr" akzeptiert, der Erlaß aller Zinsen und Schulden im Durchschnitt nach jeweils 7 Jahren. Sicherlich konnte damit der Schaden, den der Zins anrichtete, begrenzt, eine dauerhafte Lösung aber nie erreicht werden.
Während die Führungsspitze der katholischen Kirche in Lateinamerika dem westlichen Modell des Kapitalismus zuneigt, orientieren sich die Priester an der Basis eher am kommunistischen Modell. (37) In einem zinsfreien Geldsystem könnte jetzt die historische Chance einer Lösung liegen, die weder kapitalistisch noch kommunistisch ist, sondern über beide hinausgeht. Sie würde in weit höherem Maße Gerechtigkeit sichern als jedes denkbare Hilfsprogramm. Sie würde eine stabile Wirtschaft ermöglichen und die Bemühungen der Kirche um den Frieden in der Welt erheblich unterstützen.
Heutzutage fordern die Kirchen immer wieder zu Spenden auf, um die Folgen des Umverteilungsprozesses durch das Geldsystem und die härtesten sozialen Probleme sowohl in den industriell entwickelten, als auch in den Entwicklungsländern zu lindern. Dies ist jedoch nur ein Kurieren an den Symptomen, das den Systemfehler im Geldwesen nicht berührt.
Ein Zinsverbot besteht auch in den Islamischen Ländern. Hier zahlt man für einen Kredit keine Zinsen, stattdessen wird die Bank, die das Geld leiht, zum Teilhaber im Geschäft - und später an den jeweiligen Gewinnen. Das mag in einigen Fällen besser, in anderen schlechter sein als Zinszahlungen. Es ändert sich aber nichts an dem Tatbestand, daß Besitzende auf Kosten anderer Einkommen beziehen.
Das spirituelle Wissen und die spirituellen Techniken, die sich in vielen Teilen der Welt verbreiten, weisen auf tiefgreifende Bewußtseinsänderungen bei einer zunehmenden Zahl von Menschen hin. Ihre Arbeit für inneren Wandel legt die Basis für äußeren Wandel, in dem die friedliche Transformation des Geldsystems ein wichtiger Aspekt ist. Deshalb liegt eine große Verantwortung bei all jenen, die sich humanitären Zielen verpflichtet fühlen, die praktischen Möglichkeiten durch eine Geldreform genauer zu erkennen, als das bisher der Fall war"

Vergeblich werden wir bei der letzten Generalkonferenz Antworten auf oben genannte Fragen zu globaler Gerechtigkeit und Verhinderung von Armut suchen. Stattdessen finden wir diverse "Almosen-Ansprachen". Die schlimmste von  Elder Robert C. Gay mit der irrigen Aussage:

"Als ich an dem Abend nach Hause fuhr, wurden mir zwei große Wahrheiten bewusst. Erstens wusste ich wie nie zuvor, dass Gott auf einen jeden von uns achtet und uns nie im Stich lässt, und zweitens, dass wir immer auf die Stimme des Geistes in uns hören und ihr „sogleich“ folgen müssen, wohin sie uns auch führt, ungeachtet aller Ängste oder Unannehmlichkeiten."

"...uns nie im Stich lässt..."? Was ist mit den eine Milliarde Menschen, die täglich hungern und allein 10.000 Kinder, die jeden Tag verhungern. Angesichts dessen kann man seine Aussage nur als zynisch oder naiv westlich betrachten. Denn auch dem Jungen wurde nur kurzfristig geholfen und wieder seinem Elend ausgesetzt.


Jeden Tag zahlen die Länder Dritten Welt 200 Millionen Dollar an Zinszahlungen; diese Menge ist doppelt so groß wie die "Entwicklungshilfe", die wir ihnen gewähren. Das, was Wohlfahrtsorganisationen jedes Jahr mit viel Aufwand "zusammenbetteln", reicht der Dritten Welt gerade, um den Zinsverpflichtungen für dreieinhalb Tage nachzukommen. Dies soll natürlich nicht heißen, dass diese eingestellt werden sollte. Wir sollten uns schon fragen, ob die Spenden primär dazu dienen, uns ein gutes Gefühl zu verschaffen, statt das Übel an der Wurzel zu packen bzw. zumindest ernsthafte Anstrengungen dahingehend zu unternehmen oder allerwenigstens ernsthafte Gedanken zu machen. Hier wäre dann ein wirklicher Seher hilfreich.

Wer A sagt, muss auch B sagen!



Als Apologet (Verteidiger des Glaubens) erklärt man gerne Fehler, Irrtümer und unmoralische Passagen in den Heiligen Schriften oder Kirchenführern mit dem Hinweis auf die Menschlichkeit der Autoren und den Einfluss aus der jeweiligen Zeit und Umgebung, dem sich die Autoren ausgesetzt sahen.

So kann man dann das rassistische Gedankengut im Buch Mormon auf Nephi oder Joseph Smith schieben, ohne aber die göttliche Inspiration beim Verfassen oder Übersetzen grundsätzlich in Frage zu stellen. Gleiches gilt für den Glauben Joseph Smiths, ganz Amerika wäre von den Nephiten und Lamaniten besiedelt worden, das Freimaurertum würde bis zum Tempel Salomos zurückreichen, die Vereinigten Staaten würden bald zugrunde gehen oder Zion würde in Missouri aufgerichtet werden. Genauso mit allen mittlerweile über Bord geworfenen Thesen wie Adam-Gott-Lehre oder Blutsühne. Ebenso dramatisch abweichende Lehren in Bibel und Buch Mormon zum Wesen Gottes und Satans oder dem Schicksal der Unrechtschaffenen in einer Hölle versus den jetzt proklamierten Graden der Herrlichkeit. Der göttlich gebotene Völkermord im Alten Testament ist ebenso auf ein kulturell bedingtes Missverständnis zurückzuführen wie die göttlich sanktionierte Sklavenhaltung, Verfolgung von Abtrünnigen und Frauenunterdrückung in den mosaischen Gesetzen.
Entweder hat Gott ein Kommunikationsproblem oder er nimmt es bewusst in Kauf, dass er dramatisch missverstanden wird – ja sogar, dass Passagen aus seinen Heiligen Schriften als Rechtfertigung für Verfolgung, Mord und Diskriminierung dienen.

Und wenn wir wissen, dass sich Propheten in der Vergangenheit selbst bei vermeintlichen Offenbarungen und bei Ansprachen in Generalkonferenzen geirrt haben, sollten wir dann nicht auch sehr skeptisch hinsichtlich aktueller Ansichten und Aussagen sein? Wenn sich Profeten und Heilige Schriften in Bezug auf den Fluch der Schwarzen getäuscht haben, könnten sie sich auch im Hinblick auf das Thema Homosexualität täuschen?  Ist die Verschärfung des Wortes der Weisheit hinsichtlich Wein und Bier primär durch die zeitgleiche Prohibitionswelle in den USA zu erklären und nicht etwa auf ein göttliches Dekret zurückzuführen? Ist die Sabbatheiligung am ersten Tag der Woche ein heidnisches Zugeständnis? Entstand die Verehrung Jesu erst so richtig durch den Fanatiker und Petrus-Gegener Paulus? Ist das Tempel-Garment nur ein Relikt aus den vom Freimaurertum entliehenen Praktiken?

Als ich noch gläubig war, habe ich die problematischen Aussagen und Lehren in der Vergangenheit durch den Faktor Menschlichkeit und Unvollkommenheit der Offenbarungsempfänger erklärt, habe aber die aktuellen Aussagen nicht in Frage gestellt. Wenn man jedoch grobe Fehler in der Vergangenheit und dramatische Änderungen der Lehre konstatiert, so muss man die aktuellen Aussagen, Praktiken und Lehren mit dem selben Maß messen und mit einem großen Portion an Skepsis versehen.

Der moderne, liberale Gläubige ist bereit, vergangene, anstößige Aussagen in den Heiligen Schriften und durch lebende Propheten geäußert zu relativieren. Kaum einer ist dabei aber konsequent und stellt damit auch die heutigen Lehren in Frage. Und wenn, dann nur die offensichtlich überholten wie die noch verbreitete Homophobie. Wenn wir also auch aktuelle Lehren hinterfragen, aber andererseits nicht nach dem Prinzip „alles oder nichts“ vorgehen wollen, auf welcher Basis entscheiden wir dann, was für uns richtig ist? Oben hatte ich Homosexualität, Wort der Weisheit, Sabbatheiligung und Tempel-Garments beispielhaft erwähnt. Als liberaler Mormone könnte man die Aussagen der Kirchenführer als Anregung verstehen, sich mit folgenden Grundthemen auseinanderzusetzen anstatt nur dogmatisch Richtlinien zu befolgen:


  • Homosexualität: Wie können wir den Zusammenhalt von Familien bestärken und Sexualität in gesunder Form ausleben?
  • Wort der Weisheit: Wie können wir uns gesund ernähren, uns vor schädlichen Süchten bewahren, verantwortungsvoll mit Rausch- und Genussmitteln umgehen sowie nachhaltig handeln (im Hinblick auf den Umgang mit den natürlichen Ressourcen, Tieren, Welternährung)?
  • Sabbatheiligung: Wie finden wir eine Balance zur Arbeit und die Möglichkeit, unsere inneren ‚Batterien‘ aufzuladen, oder unsere Art des Lebens und Miteinanders zu reflektieren?
  • Tempel-Garment: Wie kann ich meine Spiritualität pflegen und mich daran erinnern, was mir am wichtigsten im Leben ist?

Bei all diesen Fragen sollten wir uns nicht am Erkenntnis-Stand von vor Hundert oder gar Tausend Jahren orientieren. Und überlegen, ob Kaffee und Tee wirklich schlimmer ist als die Verteufelung von Homosexualität und ob Gott sich mehr für unsere Art der Unterwäsche interessiert als den Hunger von Millionen von Menschen.

Man kann allerdings auch diejenigen verstehen, die angesichts extremst moralisch verwerflicher Aussagen von Bibel, Buch Mormon & Co. in Frage stellen, ob ein Gott da überhaupt die Hand im Spiel hatte bzw. ob wir uns nicht lieber an anderen Maßstäben orientieren sollten. Oder man zum Schluss kommt, dass wenn die Aussagen von Heiliger Schrift und Propheten keine verlässliche Quelle von Wahrheit sind, die Berechtigung von Kirche hinfällig ist. Offensichtlich spielt es für Gott – wenn es ihn gibt – keine große Rolle, was wir genau glauben und ob, wann und wie wir ihn verehren. Und hilft mir die Kirche angesichts manch antiquierter oder verquerter Vorstellung wirklich fundamental weiter, ein glückliches und moralisches Leben zu leben? Was wie gesagt, wenn die Siegelung im Tempel irgendwann genau so abgeschafft wird wie die Adoption oder nur noch extrem elitär praktiziert wird wie die zweite Siegelung? Und werden wir uns nicht ärgern, jahrzehntelang unförmige Unterwäsche getragen zu haben, wenn das nur ein Spleen von Joseph Smith war? Und was mit den vielen Genealogie-Stunden, wenn alles nur die Einbildung war? ...