Das Weihnachtsmärchen



Schauen wir uns mal an, was die Evangelien über die Geburt Jesu zu berichten haben:

Bei Markus, dem ältesten Evangelium, fehlt die wundersame Geburtsgeschichte. Hier wird Jesus erst mit seiner Taufe zum Gottessohn erklärt. Dies legt nahe, dass die Geburtsgeschichte erst später hinzugedichtet wurde. Schließlich waren wundersame Geburtsgeschichten sozusagen Markenzeichen von Göttern der Antike. Und da durfte Jesus ja nicht ins Hintertreffen geraten.

So wird die Geburt von Apollonius von Tyana folgendermaßen beschrieben: Als seine Mutter der Geburt entgegensieht, erscheint ihr eines Tages eine hohe Engelsgestalt, die hell leuchtet. Der Engel gibt sich als Proteus, der ägyptische Gott, zu erkennen und kündet seine Vaterschaft an. Die Geburt selbst findet an einem außergewöhnlichen Ort statt: Kurz vor der Geburt hat seine Mutter einen Traum, in dem die Weisung erhält, in die Wiesen hinauszugehen. Von allen Seiten kommen Schwäne herangeflogen und lassen zusammen mit einem milden Südwestwind einen Gesang ertönen; dann fällt ein mächtig aufleuchtender Blitz auf sie hernieder. Von da an, heisst es, wurde Apollonius ein Sohn Gottes genannt.

Bei Matthäus wurde Maria durch das Wirken des Heiligen Geistes schwanger woraufhin Josef im Traum ein Engel erscheint und ihm nahelegt, Maria dennoch zu heiraten und dem Kind den Namen Jesus zu geben. Nach Matthäus lebte das Paar in Bethlehem. Rund ein Jahr nach der Geburt Jesu kamen die Sterndeuter, Josef erschien wiederum ein Engel im Traum, woraufhin sie nach Ägypten flohen, um dem  von Herodes befehligten Kindermord  zu entgehen. Als Herodes gestorben war, erschien Josef erneut ein Engel im Traum und sie zogen zurück, aber nicht nach Bethlehem, sondern nach Nazaret in Galiläa.

Bei Lukas schließlich leben Maria und Josef von Anfang an in Nazaret und reisten nur wegen der Volkszählung nach Bethlehem, wo Jesus geboren wurde und Heerscharen von Engeln Hirten erschienen, die daraufhin nach Bethlehem gingen, um das Baby zu sehen.

Ja, was denn jetzt? Die beiden Evangelien Matthäus und Lukas widersprechen sich somit fundamental in Bezug auf so gut wie alle Umstände der Geburt bis auf den Geburtsort Bethlehem und die spätere Heimatstadt Nazaret. Beide Autoren versuchten allem Anschein irgendwie zu erklären, warum Jesus der bekanntermaßen aus Nazaret stammte, dennoch in Bethlehem geboren war, weil dies angeblich so im Alten Testament vorhergesagt wurde (Micha 5:1; allerdings nur, wenn man bspw. Vers 5 ignoriert, wo der prophezeite Führer als Kriegsheld dargestellt wird). Dummerweise haben sie sich die beiden Autoren bei ihrer Erklärung nicht abgesprochen. Trotz der Widersprüche wurden einfach beide Versionen vermengt und so treffen sich jetzt in Krippen die Hirten mit den Sterndeutern. Doch damit nicht genug: Auch die weiteren Elemente der Geschichte erweisen sich als Potpourri antiker Götterlegenden und alttestamentlicher Motive. Dies zeigt sich in vielen Details:

1. Historische Unstimmigkeiten

  • Kein römischer Kaiser hat jemals einen so unsinnigen Völkerwanderungsbefehl gegeben von ihrem Wohnort zu den jeweiligen Heimatstädten und zurück, um gezählt zu werden. Eine Volkszählung hingegen hat es im Jahr 6 n.Chr. gegeben.
  • Josephus berichtet von vielen Grausamkeiten des Herodes, aber nicht von einer massenhaften Kindestötung in Bethlehem.

2. Heidnische Motive

  • Sterne können kaum auf ein bestimmtes Gebäude zeigen, da sie viele Lichtjahre entfernt sind. Sterne als Zeichen für die Geburt herausragender Persönlichkeiten war in der Antike ein weit verbreitetes Motiv.
  • Göttliche Vorankündigungen der Geburt  waren der vorchristlichen Welt wohlvertraut. Das bezeugen auch die so genannten »Religionsgespräche am Hofe der Sassaniden«: „Herrin, sprach eine Stimme, der große Helios hat mich abgesandt zu dir als Verkünder der Zeugung, die er an dir vollzieht … Mutter wirst du … eines Kindleins, dessen Name ist ›Anfang und Ende‹.“
  • Die verschiedensten Sagen erzählen von Göttersöhnen, die aus der Vereinigung Gottes mit einer irdischen Frau entstanden sind: Amon-Re, Herakles, Asklepios u.a.
  • Das Motiv der reisenden Mutter, die keinen Platz fi ndet, ihr Kind zu gebären findet sich auch bei Leto, der Mutter Apollos, wieder.
  • Das Kind in der Krippe erinnert an Dionysos in der Wiege, in der Getreideschwinge.
  • Der Tötungsbefehl des Herodes findet eine Parallele im Befehl des Mederkönigs Astyages, den neugeborenen Kyros zu töten.
  • Lichterscheinungen in der Nacht sind Teil vieler Mysterienfeiern: „Mitten in der Nacht sah ich die Sonne strahlend im leuchtenden Licht“, heißt es von der Isisweihe. In Eleusis lautet der Jubelruf der Hierophanten: „Einen heiligen Knaben gebar die Herrin“, bei der hiervon abhängigen alexandrinischen Aionfeier: „In dieser Stunde, heute, gebar die Jungfrau den Aion“, und: „Die Jungfrau hat geboren, das Licht geht auf.“ Bei Osiris heißt der Ruf: „Der Herr aller Dinge geht ans Licht hervor … ein großer König und Wohltäter, Osiris, ist geboren“, und im Herrscherkult: „Ein König ist euch geboren…und er nannte ihn Charilaos, weil alle sehr froh wurden.“
  • Die Erwartung eines Messias war keine rein jüdische Vorstellung. In Babylonien und Ägypten war die Vorstellung von einem kommenden Retter und einer seligen Endzeit bekannt. Zarathustra sprach vom kommenden Gottesreich und über Ramses den IV. heißt es:
  • „Welch schöner Tag! Himmel und Erde freuen sich, (denn) du bist der große Herr von Ägypten. Die geflohen waren, sind wieder zu ihren Städten gekommen, und die verborgen waren, sind wieder hervorgekommen. Die da hungerten, sind gesättigt und fröhlich, und die da dursteten, sind trunken. Die da nackt waren, sind in feines Linnen gekleidet, und die da schmutzig waren, haben weiße Kleider. Die im Gefängnis waren, die sind freigelassen, und wer gebunden war, der ist voll Freude. Die da stritten in diesem Land, die sind zu Friedlichen geworden. Große Nile sind aus ihren Höhlen gekommen, daß sie das Herz der andren erfrischen.“
  • Auch der assyrische König Assurbanipal (668–626 v. Chr.) wurde als der erwartete Heilbringer und Gottessohn gefeiert, mit dessen Regierung das neue Zeitalter beginne. „Die Kinder singen, die Frauen gebären leicht, die Kranken genesen, die Greise hüpfen, die Hungrigen werden gesättigt und die Nackten bekleidet.“

3. Spätere Veränderungen

  • Je später das Evangelium geschrieben wurde, um so ausgeschmückter wurde berichtet. Bspw. wurde aus der Engelserscheinung im Traum eine reale Erscheinung und der Engel hatte auch einen Namen usw.
  • Die Stammbäume zeigen Josef als Linie, stammen also wohl noch aus der Zeit, als er als der leibliche Vater Jesu galt.
  • Passagen wie Markus 6:4 („Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie.“), Markus 3:21, Matth. 12:46 ff. oder Johannes 7:5 widersprechen der den Eltern bei der Geburt bekannten Berufung Jesu.

4. Darstellung als prophetische Erfüllung und alttestamentliche Anlehnungen

  • Die Prophezeiung in Matth. 2:23 gibt es nirgendwo, bezieht sich vermutlich auf ein irrtümliches Verständnis von Jesaja 11:1 (Nezer = junger Trieb).
  • Der ägyptische Aufenthalt beruht ebenfalls auf einem Missverständnis: Hosea 11:1 handelt nicht vom Messias, sondern vom Volk Israel.
  • Eine weitere „Erfüllungssage“ ist die des Kindermordes durch Herodes, wodurch sich Jeremia 31:15 erfüllt haben soll, wenngleich hierbei von Rama die Rede ist, welches auf der ganz anderen Seite von Jerusalem liegt. Vermutlich hat sich der Autor von Matthäus von der Mosegeschichte inspirieren lassen, der ja Ägypten zeitweilig verlassen musste (vergleiche Exodus 4:19 mit Matth. 2:20).
  • Lukas 1:31 ff. scheint in Anlehnung an Genesis 16:7 ff., Genesis 17:19 und Richter 13:3 ff. geschrieben worden zu sein.
  • Die Berufungsgeschichte Marias in Lukas 1 folgt dem üblichen alttestamentlichen Schema: 1. Berufung, 2. Einwand, 3. Beseitigung der Bedenken, 4. Beglaubigungszeichen (siehe bspw. Exodus 3:10-12).
  • Die Verheißung in Jesaja 7:14 bzgl. einer jungen Frau, die schwanger werden, gebären und ihren Sohn Immanuel nennen werde, kann wohl kaum auf Maria und Jesus gemünzt gewesen sein, da Vers 15 und 16 von der unmittelbaren Eroberung durch die Assyrer spricht. Und Immanuel hat Maria ihren Sohn auch nicht genannt.
  • Die Lobpreisung Marias in Lukas 1:46-55 ist ein Sammelsurium alttestamentlicher Zitate (1. Samuel 2:1, Habakuk 3:18, Genesis 30:13, Psalm 110:9, 103:17,18, 89:11, 2. Samuel 22:28…). Kaum Vorstellbar, dass diese Zusammenstellung von Maria stammt, wohl aber von einem Autor, der krampfhaft Jesus als alttestamentlichen Messias darstellen will. Genauso ist der Gruß Elisabeths in Lukas 1:42 ein Zitat aus Richter 5:24.

Übrigens war der Engel Gabriel kein so friedlicher Genosse, wie ihn die Weihnachtsgeschichte darstellt. Laut Daniel im Alten Testament hat er Kriege unter den Engeln geführt: „Er sagte: Weißt du, warum ich zu dir gekommen bin? Ich muss bald zurückkehren und mit dem Engelfürsten von Persien kämpfen. Wenn ich mit ihm fertig bin, dann wird der Engelfürst von Jawan kommen.“ (Daniel 10:20)

Und was ist mit der Davidsohnschaft Jesu? Die Stammbäume in den Evangelien widersprechen sich gegenseitig und führen beide am Ende Josef statt Maria auf. Und ist die Abstammung von David wirklich so erstrebenswert? So war David bevor er König wurde ein Plünderer und Räuber. Er ließ als König zwei Söhne und fünf Enkel Sauls hinrichten, um eine Hungersnot abzuwenden, aber wohl eher, um potenzielle Rivalen auszuschalten. Und wie passt der Fluch nach seinem Ehebruch („Darum soll jetzt das Schwert auf ewig nicht mehr von deinem Haus weichen“ 2. Sam. 12:10) mit einem von ihm abstammenden Friedenskönig zusammen?

So anrührend die Weihnachtsgeschichte nach Lukas auch sein mag, bei näherer Betrachtung entpuppt sie sich als überwiegend legendenhaft und unhistorisch. So wie wir längst wissen, dass das Weihnachtsfest selber heidnischen Ursprungs ist - wurde doch am 25. Dezember, dem Tag der Sonnenwende, seit jeher die Geburt des Mithras und auch die Geburt von Osiris, dem Sonnengott Ägyptens, gefeiert. Aber nun müssen wir auch feststellen, dass nicht nur Weihnachtsmann und Stollen für das Christentum adaptiert wurden, sondern gar die Lukassche Weihnachtsgeschichte nur die phantasievolle Zusammenstellung antiker (Halb-) Götter-Geburtsgeschichten darstellt.