Der Handgriff-Trick

Glauben Mormonen wirklich an den Handgriff-Trick in LuB 129:4-8:

Wenn ein Bote kommt und sagt, er habe eine Botschaft von Gott, so reiche ihm die Hand und fordere ihn auf, dir die Hand zu geben.
Wenn es ein Engel ist, so wird er es tun, und du wirst seine Hand fühlen.
Wenn es der Geist eines gerechten Menschen ist, der vollkommen gemacht worden ist, so wird er in seiner Herrlichkeit kommen, denn das ist die einzige Weise, wie er erscheinen kann—
fordere ihn auf, dir die Hand zu geben, und er wird sich nicht rühren, denn es widerspricht der Ordnung des Himmels, daß ein gerechter Mensch täuscht; aber er wird dennoch seine Botschaft ausrichten.
Wenn es der Teufel als ein Engel des Lichts ist und du ihn aufforderst, dir die Hand zu geben, so wird er dir die Hand reichen, und du wirst nichts fühlen, deshalb kannst du ihn entlarven.

Funktioniert das immer noch, obwohl es veröffentlicht ist und Satan das ja lesen könnte?

Und ist das der Grund, warum Mormonen sich ständig die Hand geben? Um zu verhindern, dass Satan sie reinlegt?

Buchstäbliches Bibelverständnis

Glauben Mormonen an die Schöpfung vor rund 6.000 Jahren (LuB 77:6), einen buchstäblichen Adam als ersten Menschen (LuB 27:11), globale Flut (LuB 138:41, Alma 10:22), Sprachenverwirrung beim Turmbau zu Babel (Ehter 1:3-5) und den buchstäblichen Auszug aus Ägypten durchs Rote Meer (LuB 8:3)? 

Und die buchstäbliche Bibelgeschichte müssen Mormonen ja noch toppen, da Adam in Amerika wohnte und so die Flut Noach von Amerika in den Nahen Osten bringen musste, wo die Jarediten dann nach dem Turmbau wieder hin zurückkehrten.

Natürlich gibt es viele Mormonen, die keine solch naive Lesart der biblischen Mythen verfolgen - wenngleich die Mehrzahl dies vermutlich tut. Die Frage ist aber, ob eine buchstäbliche Lesart der biblischen Geschichten aus dem Buch Mormon und Lehre und Bündnisse folgt. Und das für Mormonen eine moderne Lesart und Interpretation von Schöpfungsbericht, Turmbau, Auszug aus Äqypten usw. schwieriger zu vereinbaren ist als für andere Christen. Mormonen können eben nicht einfach sagen, dass die Geschichten aus dem Alten Testament glaubensstärkende Legenden sind, da sie ja in Offenbarungen Joseph Smiths vor rund 150 Jahren quasi bestätigt wurden.

Selektive Wunder

Als ich diese Ansprache von der Generalkonferenz anhörte (http://www.lds.org/general-conference/2012/04/what-thinks-christ-of-me?lang=deu), dachte ich erst: wirklich schöne, anrührige Beispiele für Gottvertrauen (ein von Krebs geheiltes Mädchen und beim Erdbeben in Haiti gerettete Kinder). 

"Die Stunden vergingen, und Familie Saintelus erlebte – inmitten von Dunkelheit, Verzweiflung und dem Tod so vieler anderer kostbarer Söhne und Töchter Gottes in Haїti – ein Wunder. Gancci, Angie und Gansly wurden lebend aus den Trümmern des dem Erdboden gleichgemachten Gebäudes geborgen."

Doch dann stellte sich mir die Frage: Was ist mit den anderen 250.000 Menschen in Haiti, die umgekommen sind? Ist es nicht arrogant und zynisch von dieser Rettung als Beispiel für Gottvertrauen zu sprechen, während Tausende den Tod ihrer Liebenden betrauern. Hatten diese nicht genug Gottvertrauen oder einfach nur Pech? Ist das wirklich ein gutes Beispiel für Gottes Liebe und Eingreifen, wenn er eine Handvoll Menschen rettet, aber Tausende im Gegenzug sterben lässt? Wenn wir nur die positiven Dinge Gott zuschreiben, was ist dann mit den vielen schrecklichen Dingen, unbeantworteten Gebeten und nicht wiedergefundenen Schlüsseln?

Trost gefällig

Macht diese Lehre wirklich Sinn, auch wenn sie tröstlich ist?

„Der Prophet Joseph Smith hat verkündet – und nie hat er tröstlichere Lehre verkündet – dass die Siegelung glaubenstreuer Eltern für die Ewigkeit und die gottgegebenen Verheißungen, die ihnen für den standhaften Dienst in der Sache der Wahrheit gelten, nicht nur sie selbst erretten, sondern auch ihre Nachkommen. Manche der Schafe mögen abirren, aber der Blick des Hirten ruht auf ihnen, und früher oder später werden sie spüren, wie die Greifarme der göttlichen Vorsehung sie erfassen und sie in die Herde zurückziehen. Ob in diesem oder im künftigen Leben, sie werden zurückkehren. Sie werden der Gerechtigkeit ihre Schulden bezahlen müssen; sie werden für ihre Sünden leiden und viele gehen einen dornigen Weg, aber wenn er sie zuletzt, wie den verlorenen Sohn, der Reue empfand, zum Herzen und in die Obhut des liebenden und vergebungsbereiten Vaters zurückführt, wird die schmerzliche Erfahrung nicht vergebens gewesen sein. Betet für eure sorglosen und ungehorsamen Kinder; haltet sie mit eurem Glauben fest. Hört nicht auf, zu hoffen und zu vertrauen, bis ihr die Errettung durch Gott seht.“

Von http://www.lds.org/general-conference/2003/04/dear-are-the-sheep-that-have-wandered?lang=deu&query=feel+tentacles+divine+providence+reaching+after+them+drawing+them+back+fold und wiederholt von Henry B. Eyring in 2009.

Ist das nicht ungerecht den Kindern gegenüber, die keine glaubenstreuen Mormonen-Eltern haben? Und glauben wir wirklich, dass Strafe dazu führt, dass Menschen sich innerlich ändern? Oder geht es eher darum, Eltern von ungläubigen Kindern noch stärker bei der Stange zu halten?

Seher gesucht

Ungebildeter Amerikaner, der als Profet bezeichnet wurde und unter Trance bzw. Inspiration unglaublich viele Offenbarungen u.a. über verloren gegangene Kulturen, Adam, Henoch usw. produziert hat. Hat heute noch eine bemerkenswert große Anhängerschaft weltweit mit Hauptsitz in den USA. Kommt einem irgendwie bekannt vor? Dann schaut doch mal nach Edgar Cayce: http://de.wikipedia.org/wiki/Edgar_Cayce Joseph Smith war wohl doch nicht so einzigartig!

Glaube versus Moral


Gebietet Gott den Menschen mitunter Mord, Betrug und Lüge zu begehen? Oder rechtfertigt er dies zumindest unter bestimmten Umständen? Die Heiligen Schriften sagen uns deutlich: Ja.

Nach dem vom Herrn offenbarten mosaischen Gesetz ist es okay, einen Dieb im Affekt zu erschlagen (Exodus 22:1). Hexen, Homosexuelle und alle, die mit einem Tier verkehren, sollen getötet werden. Es reichte auch, dass man am Sabbat Holz sammelte, um nach Gottes Gebot hingerichtet zu werden (Numeri 15).

Ein Todesurteil kann auch mal die engste Familie und Freunde betreffen, wenn diese vom Glauben abfallen. Als die Israeliten das Goldene Kalb errichtet und angebetet haben, erging das Gebot vom Herrn durch Mose:
Er sagte zu ihnen: So spricht der Herr, der Gott Israels: Jeder lege sein Schwert an. Zieht durch das Lager von Tor zu Tor! Jeder erschlage seinen Bruder, seinen Freund, seinen Nächsten. Die Leviten taten, was Mose gesagt hatte. Vom Volk fielen an jenem Tag gegen dreitausend Mann. (Exodus 32:27-28)

Getötet werden sollen auch ungehorsame Söhne:
Wenn ein Mann einen störrischen und widerspenstigen Sohn hat, der nicht auf die Stimme seines Vaters und seiner Mutter hört, und wenn sie ihn züchtigen und er trotzdem nicht auf sie hört, dann sollen Vater und Mutter ihn packen, vor die Ältesten der Stadt und die Torversammlung des Ortes führen und zu den Ältesten der Stadt sagen: Unser Sohn hier ist störrisch und widerspenstig, er hört nicht auf unsere Stimme, er ist ein Verschwender und Trinker. Dann sollen alle Männer der Stadt ihn steinigen und er soll sterben. Du sollst das Böse aus deiner Mitte wegschaffen. Ganz Israel soll davon hören, damit sie sich fürchten. (Deuteronomium 21:18-21)

Und es kann auch mal brave Söhne treffen, wenn der Herr den Glauben bzw. Gehorsam des Vaters prüfen möchte, wie das Beispiel Abrahams zeigt, der seinen Sohn Isaak opfern sollte (auch wenn er letztlich von einem Engel bei der Vollstreckung abgehalten wurde).

Generell gilt, dass Frauen und Kinder nicht geschont werden:
Nun bringt alle männlichen Kinder um und ebenso alle Frauen, die schon einen Mann erkannt und mit einem Mann geschlafen haben. (Numeri 31:17)
Damals eroberten wir alle seine Städte. Wir weihten die ganze männliche Bevölkerung, die Frauen, die Kinder und die Greise der Vernichtung; keinen ließen wir überleben. (Deuteronomium 2:34-35)
Den ganzen Besitz aus diesen Städten und das Vieh nahmen die Israeliten für sich, die Menschen aber erschlugen sie alle mit scharfem Schwert und rotteten sie völlig aus. Niemand ließen sie am Leben. (Josua 11:14)
Samuel sagte zu Saul: Der Herr hatte mich gesandt, um dich zum König seines Volkes Israel zu salben. Darum gehorche jetzt den Worten des Herrn! So spricht der Herr der Heere: Ich habe beobachtet, was Amalek Israel angetan hat: Es hat sich ihm in den Weg gestellt, als Israel aus Ägypten heraufzog. Darum zieh jetzt in den Kampf und schlag Amalek! Weihe alles, was ihm gehört, dem Untergang! Schone es nicht, sondern töte Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel! (1. Samuel 15:1-3)
Aus den Städten dieser Völker jedoch, die der Herr, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt, darfst du nichts, was Atem hat, am Leben lassen. Vielmehr sollst du die Hetiter und Amoriter, Kanaaniter und Perisiter, Hiwiter und Jebusiter der Vernichtung weihen, so wie es der Herr, dein Gott, dir zur Pflicht gemacht hat, damit sie euch nicht lehren, alle Gräuel nachzuahmen, die sie begingen, wenn sie ihren Göttern dienten, und ihr nicht gegen den Herrn, euren Gott, sündigt. (Deuteronomium 20:16-18)

Die Begründung war klar: die Völker hatten den falschen Glauben und lebten am falschen Ort. Man kann nicht gerade sagen, dass sie eine faire Chance gehabt hätten, eine der zwei Dinge zu ändern, bevor sie dem Völkermord zum Opfer fallen sollten. Historiker gehen zwar heute davon aus, dass die Landnahme der Israeliten wohl doch nicht so brutal erfolgte. Aber die Botschaft der Bibel ist dennoch klar ungeachtet dessen, wie diese tatsächlich geschichtlich ausgeführt wurde.

Der von Gott auserwählte David war ein Kriegsverbrecher, der Menschen in frühzeitliche Konzentrationslager zur Zwangsarbeit und systematischen Vernichtung brachte.
Aber das Volk drinnen führte er heraus und legte sie unter eiserne Sägen und Zacken und eiserne Keile und verbrannte sie in Ziegelöfen. So tat er allen Städten der Kinder Ammon. (2.Samuel 12:31; mit dem ursprünglichen Text vor der Änderung 1959)
Auch die Moabiter schlug er. Sie mussten sich nebeneinander auf die Erde legen und er maß die Reihe mit einer Messschnur ab: jeweils zwei Schnurlängen wurden getötet und jeweils eine volle Schnurlänge ließ er am Leben. (2. Samuel 8:2)

Auch Jakobs Söhne Simeon und Levi waren Mörder (Genesis 34).

Im Buch Mormon finden sich ebenfalls explizite Beispiele dafür, dass der Zweck die Mittel heiligt und unter bestimmten Umständen das, was sonst als unmoralisch gilt, von Gott geboten werden kann. Da haben wir einmal Nephi, dem geboten wird, seinen Onkel Laban zu ermorden, um an die Messingplatten zu gelangen. Und wir haben die Aussage, dass die Vielehe okay ist, wenn der Herr sich Nachkommen erwecken will (Jakob 2:30). Auch wird im Buch Mormon das mosaische Gesetz als göttlich anerkannt und damit indirekt auch die dort geregelte Sklavenhaltung. Glauben wir wirklich, dass so eine Regel göttlich inspiriert ist?
Wenn einer seinen Sklaven oder seine Sklavin mit dem Stock so schlägt, dass er unter seiner Hand stirbt, dann muss der Sklave gerächt werden. Wenn er noch einen oder zwei Tage am Leben bleibt, dann soll den Täter keine Rache treffen; es geht ja um sein eigenes Geld. (Exodus 21:20-21)

Nun mag man einwenden, dies sei ja schon ein Fortschritt gegenüber vollkommener Willkür gegenüber Sklaven. Aber sorry, ist Sklavenhaltung nicht viel schlimmer als das Verehren irgendwelcher heidnischer Figuren? Und hätte Gott das den Menschen nicht klar machen können, anstelle regeln zu lassen, dass die Israeliten kein Blut essen, sich das Kopfhaar nicht rundum abschneiden, den Bart nicht stutzen und sich nicht tätowieren lassen sollen (Levitikus 19). Übrigens wird das noch heute gerne verwendet, um Tattoos zu verteufeln, wobei die anderen Regeln nicht erwähnt werden sowie die Aussage in Offenbarung 19:16 wonach Jesus an der Hüfte tätowiert ist:
Auf seinem Gewand und auf seiner Hüfte trägt er den Namen: «König der Könige und Herr der Herren».
Okay, das ist jetzt nicht wirklich ernsthaft, soll nur zeigen, wie fragwürdig es ist, sich einzelne Regeln aus dem mosaischen Gesetz herauszupicken.

Auch im Neuen Testament wird nicht nur Frieden und Nächstenliebe gepredigt:

Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. (Matthäus 10:34-37)
Also geht der Glaube klar vor der Harmonie in der Familie – zumindest nach Matthäus.

Wie sieht es in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage aus? Gibt es dort eine Tradition, dass Gehorsam gegenüber Gottes Gebot moralisches Verhalten außer Kraft setzen kann?
  • Vor dem Hintergrund der Vielehe hat Joseph Smith das Gesetz gebrochen, gelogen, seine (erste) Frau betrogen, junge Frauen erpresst usw.
  • Die geheime von Joseph Smith initiierte Gruppe der ‚Danites‘ hat viele Verbrechen in Missouri begangen (Mord, Raub, Plünderung).
  • Die Lehre der Blutsühne durch Brigham Young, Hetztiraden während der so genannten ‚Mormon Reformation‘ sowie die Racheschwüre im Tempel haben zu mehreren Ermordungen, Zwangskastrationen sowie dem Mountain Meadows-Massaker geführt, wo 120 Männer, Frauen und Kinder massakriert wurden.
  • Im Zusammenhang mit der Vielehe sind rund 1.000 Mitglieder ins Gefängnis gewandert.
  • Brigham Young hat die Diskriminierung von Schwarzen als Offenbarung bezeichnet, die Sklavenhaltung in Utah legalisiert und selber Sklaven gehalten.
  • 1883 wurde ein Schwarzer, der einen Polizisten erschossen hatte, vor einer Menge von über 2.000 Personen in Salt Lake City gelyncht und der Leichnam durch die Straßen gezogen.
  • Brigham Young hat mehrfach erklärt, dass Dieben die Kehle durchgeschnitten oder diese auf der Stelle erschossen werden sollten. Ebenso sollten sexuelle Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen mit dem Tod bestraft werden. Beispielsweise wurden im April 1858 ein 22-Jähriger und seine Mutter wegen Inzucht erschossen und deren Baby getötet.
  • Selbst Lorenzo Snow hat noch 1990 als Präsident des Kollegiums der Zwölf Apostel die Hoffnung geäußert, den Tag zu erleben, wo das Blut von Ehebrechern vergossen wird. Allerdings wurde ab 1890 von Kirchenführern nicht mehr öffentlich die Tötung von Abtrünnigen sowie Tätern schwerwiegender Sünden gefordert.
Glücklicherweise hat sich die Kirche mittlerweile deutlich von diesen alttestamentlichen Einstellungen distanziert. Die Lehre von der Blutsühne, also dass bei bestimmten Sünden der Täter getötet werden müsse, weil das Sühnopfer Christi alleine nicht ausreiche, wird auch nicht mehr gelehrt. Man kann höchstens noch den Vorwurf erheben, dass die noch vorherrschende Homophobie und damit verbundene vehemente Ablehnung der Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen ein Überbleibsel dieser Kultur ist. Aber auch hier wurde die Rhetorik in den letzten Jahren stark entschärft.

Ungeachtet dessen finden wir nach wie vor die genannten Beispiele in den Heiligen Schriften. So wird die Tat Abrahams weiterhin mit Bewunderung vermittelt. Und auch wird ein großer Schwerpunkt auf Gehorsam den Führern der Kirche gegenüber gelegt.

Derzeit müssen wir uns daher weniger Sorgen hinsichtlich der Mormonen machen und vielmehr hoffen, dass der Fundamentalismus in anderen Religionen wie dem Islam oder die ultraorthodoxen Juden endlich die alttestamentlichen und mittelalterlichen Dogmen abschütteln.

Wie die Strafe eines wütenden Gottes mit dem Sühnopfer zusammenhängt


Die Bücher im AT sollten erklären, warum das von Gott erwählte Bundesvolk der Israeliten von den Assyrern und Babyloniern besiegt und in Gefangenschaft geführt wurden oder mit Hungersnöten zu tun hatte.

Die Haupterklärung der Bibel ist Strafe für Sünde von Gott selber verursacht:
Seht, ich lasse über euch herfallen, Haus Israel, ein Volk aus der Ferne - Spruch des Herrn. Ein unüberwindliches Volk ist es, ein uraltes Volk, ein Volk, dessen Sprache du nicht kennst und dessen Rede du nicht verstehst. Sein Köcher ist wie ein offenes Grab, sie alle sind Helden. Es frisst deine Ernte und dein Brot, es frisst deine Söhne und Töchter, es frisst deine Schafe und Rinder, es frisst deinen Weinstock und Feigenbaum, es zerschlägt mit dem Schwert deine befestigten Städte, auf die du vertraust. Doch auch in jenen Tagen - Spruch des Herrn - will ich euch nicht völlig vernichten. Wenn man dann fragt: Weshalb hat der Herr, unser Gott, uns das alles angetan?, so sag zu ihnen: Wie ihr mich verlassen und fremden Göttern in eurem Land gedient habt, so müsst ihr Fremden dienen in einem Land, das euch nicht gehört. (Jeremia 5:15-19)
So spricht der Herr: Wegen der drei Verbrechen, die Juda beging, wegen der vier nehme ich es nicht zurück: Weil sie die Weisung des Herrn missachteten und seine Gesetze nicht befolgten, weil sie sich irreführen ließen von ihren Lügengöttern, denen schon ihre Väter gefolgt sind, darum schicke ich Feuer gegen Juda; es frisst Jerusalems Paläste. (Amos 2:4-5)

Die Vergeltung von Gott sollte die Israeliten anschließend zur Umkehr bewegen, was allerdings nicht immer funktioniert hat:
Ich ließ euch hungern in all euren Städten, ich gab euch kein Brot mehr in all euren Dörfern und dennoch seid ihr nicht umgekehrt zu mir - Spruch des Herrn. Ich versagte euch den Regen drei Monate vor der Ernte. Über der einen Stadt ließ ich es regnen, über der anderen nicht; das eine Feld bekam Regen, das andere nicht, sodass es verdorrte. Zwei, drei Städte taumelten zu der einen; sie wollten Wasser trinken und blieben doch durstig. Und dennoch seid ihr nicht umgekehrt zu mir - Spruch des Herrn. Ich vernichtete euer Getreide durch Rost und Mehltau, ich verwüstete eure Gärten und Weinberge; eure Feigenbäume und eure Ölbäume fraßen die Heuschrecken kahl. Und dennoch seid ihr nicht umgekehrt zu mir - Spruch des Herrn. Ich ließ die Pest gegen euch los wie gegen Ägypten, eure jungen Männer tötete ich mit dem Schwert und gab eure Pferde (den Feinden) zur Beute; den Leichengestank von eurem Heerlager ließ ich euch in die Nase steigen. Und dennoch seid ihr nicht umgekehrt zu mir - Spruch des Herrn. Ich brachte über euch eine gewaltige Zerstörung wie die, die Gott einst über Sodom und Gomorra verhängte; ihr wart wie ein Holzscheit, das man aus dem Feuer herausholt. Und dennoch seid ihr nicht umgekehrt zu mir - Spruch des Herrn. Darum will ich dir all das antun, Israel, und weil ich dir all das antun werde, mach dich bereit, deinem Gott gegenüberzutreten. (Amos 4:6-12)
Ich aber, ich bin der Herr, dein Gott, seit der Zeit in Ägypten; du sollst keinen anderen Gott kennen als mich. Es gibt keinen Retter außer mir. Ich habe dich in der Wüste auf die Weide geführt, im Land der glühenden Hitze. Als sie ihre Weide hatten, wurden sie satt. Als sie satt waren, wurde ihr Herz überheblich, darum vergaßen sie mich. Deshalb wurde ich für sie zu einem Löwen, wie ein Panther lauere ich am Weg. Ich falle sie an wie eine Bärin, der man die Jungen geraubt hat, und zerreiße ihnen die Brust und das Herz. Die Hunde fressen sie dann und die wilden Tiere zerfleischen sie. Ich vernichte dich, Israel. (Hosea 13:4-9)

Gehorsam bringt Segen und Ungehorsam Strafe und Leid. Gott segnet und straft gleichermaßen.
Der Fluch des Herrn fällt auf das Haus des Frevlers, die Wohnung der Gerechten segnet er. (Sprichwörter 3:33)
Der Gerechte wird aus der Not gerettet, an seine Stelle tritt der Böse. (Sprichwörter 11:8)
Unglück verfolgt die Sünder, den Gerechten wird mit Gutem vergolten. (Sprichwörter 13:21)
Die einzige Möglichkeit, um bei Sünde Strafe zu vermeiden, war das Darbringen spezieller Opfer wie in Levitikus 1-7 beschrieben.
Er lege seine Hand auf den Kopf des Opfertiers, damit es für ihn angenommen werde, um ihn zu entsühnen. (Levitikus 1:4)
Wenn die Tage des Gastmahls vorbei waren, schickte Ijob hin und entsühnte sie. Früh am Morgen stand er auf und brachte so viele Brandopfer dar, wie er Kinder hatte. Denn Ijob sagte: Vielleicht haben meine Kinder gesündigt und Gott gelästert in ihrem Herzen. So tat Ijob jedes Mal. (Ijob 1:5)
Der Priester soll die Fettteile mit dem Feueropfer des Herrn auf dem Altar in Rauch aufgehen lassen und ihn so entsühnen, um ihn von seiner Sünde zu lösen, die er begangen hat; dann wird ihm vergeben werden. (Levitikus 4:35)
Wenn er sich am Heiligen verfehlt hat, soll er Ersatz leisten und noch ein Fünftel des Wertes hinzufügen. Er soll es dem Priester geben und dieser soll ihn mit dem Schuldopferwidder entsühnen; dann wird ihm vergeben werden. (Levitikus 5:16)

Was das Volk Israel anbetrifft, galt sozusagen die Sippenhaft, sprich das ganze Volk einschließlich unschuldiger Kinder und nachwachsender Generationen musste die Strafe erdulden. War sie abgegolten durch die leidenden Israeliten in der Gefangenschaft, so sollte den Israeliten vergeben werden.

Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott. Redet Jerusalem zu Herzen und verkündet der Stadt, dass ihr Frondienst zu Ende geht, dass ihre Schuld beglichen ist; denn sie hat die volle Strafe erlitten von der Hand des Herrn für all ihre Sünden. (Jesaja 40:1-2)
Nur für eine kleine Weile habe ich dich verlassen, doch mit großem Erbarmen hole ich dich heim. Einen Augenblick nur verbarg ich vor dir mein Gesicht in aufwallendem Zorn; aber mit ewiger Huld habe ich Erbarmen mit dir, spricht dein Erlöser, der Herr. (Jesaja 54:7-8)

Diese Rückkehr sollte glorreich und wundervoll sein. Die Errettung des Hauses Israels am Ende sollte durch das Erleiden der Strafe der Israeliten zustande kommen. Jesaja spricht nie davon, dass der Messias für die Sünden der Israeliten leiden würde, sondern der Knecht Israel selber (der Knecht ist Israel siehe Jesaja 41:8).

Doch der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen (Knecht), er rettete den, der sein Leben als Sühnopfer hingab. Er wird Nachkommen sehen und lange leben. Der Plan des Herrn wird durch ihn gelingen. Nachdem er so vieles ertrug, erblickt er das Licht. Er sättigt sich an Erkenntnis. Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich. Deshalb gebe ich ihm seinen Anteil unter den Großen und mit den Mächtigen teilt er die Beute, weil er sein Leben dem Tod preisgab und sich unter die Verbrecher rechnen ließ. Denn er trug die Sünden von vielen und trat für die Schuldigen ein. (Jesaja 53:10-12)

Von den Christen wurde diese Passage später uminterpretiert als Prophezeiung des Sühnopfers Jesu. Die ursprüngliche Bedeutung war hingegen, dass wenn die Israeliten ihre Schuld getilgt hätten, Israel befreit werden würde. So wird nirgendwo der Messias erwähnt, auch wird das Leid als in der Vergangenheit liegend beschrieben. Auch Kapitel 49 (insbesondere Vers 3) macht deutlich, dass der für die Sünden Israels leidende Knecht das Haus Israel im Exil ist. Die Kapitel stammen von Deutero-Jesaja und wurden im Exil geschrieben. So wie die Sühnopfer von Levitikus für individuelle Errettung sorgten, so sollte das Opfer der Israeliten im Exil das ganze Haus Israel erretten.

Die ganze Idee hängt damit zusammen, dass Sünde zwangsläufig zu Strafe und Leid führt.
Und man muss Zweifel anmelden, ob Deutero-Jesaja von der Kreuzigung Jesu prophezeit hat oder ob vielmehr die Schreiber der Evangelien die Schilderung der Kreuzigung Jesu bewusst als Parallele zu Jesaja 53  und Psalmen 22 dargestellt haben.

Dies haben wir insbesondere dem anonymen Autor des Hebräerbriefs zu verdanken.
Aufgrund dieses Willens sind wir durch die Opfergabe des Leibes Jesu Christi ein für alle Mal geheiligt. … Dieser aber hat nur ein einziges Opfer für die Sünden dargebracht und sich dann für immer zur Rechten Gottes gesetzt. (Hebräer 10:10,12)

Aus der primitiven Sicht, dass Gottes Strafe auf Sünde folgt, welches Leid auf der Erde erklären sollte, entstanden erst die Opferriten der Israeliten. Daran anlehnend wurde das schreckliche Leid der Israeliten bei der Eroberung durch die Assyrer und Babylonier mit dem Sühnopfer für die Sünden des Hauses Israels versucht zu erklären. Und schließlich haben Paulus & Co. wiederum daran angeknüpft, um den schrecklichen Tod Jesu zu erklären.

Ist die Bibel ein Märchenbuch?


Es muss einfach gesagt werden: Das naturwissenschaftliche Weltbild der Bibel ist wissenschaftlich veraltet! Man mag die Aussagen von Genesis noch so verbiegen. Ja, vielleicht meinten die Autoren tatsächlich Gene oder Atome als sie von Staub sprachen, aus dem der Mensch gestaltet wurde. Denn es gab damals keinen Begriff für kleinere Elemente als die für das Auge Sichtbaren. Und ja, vielleicht bedeutet die Schöpfung der Sonne am vierten Tag der Schöpfung wirklich, dass die Sonne von der Erde aus sichtbar wurde, da die Atmosphäre sich vom Dunst befreite.
Wir müssen nicht annehmen, dass die biblischen Autoren naturwissenschaftliche Erkenntnisse erhielten, die ihre Kultur weit überstieg, um unseren Glauben an die Schriften aufrecht zu erhalten. Die Bibel ist nicht dazu da, um die Entfernung von der Erde zur Sonne zu berechnen oder das Alter von Fossilien zu bestimmen.
James E. Talmage warnt uns:
Die Anfangskapitel von Genesis waren niemals als Lehrbuch für Geologie, Archäologie, Erdkunde oder Biologie gedacht. … Wir zeigen keine Achtung vor den Heiligen Schriften, wenn wir sie durch falsche Interpretation missbrauchen.
Die naturwissenschaftliche und geschichtliche Akkuratheit ist für Heilige Schriften nicht das ausschlaggebende Argument.
Man darf beim Studium des Alten Testaments nicht von der modernen abendländischen Kultur ausgehen und unsere heutige Denkweise zum Maßstab für die Beurteilung orientalischer Verhältnisse machen. Weit bis ins Mittelalter hinein war Geschichte ein Zweig der Literatur und nicht der Wissenschaft. Die Geschichte war ein Reservoir an moralischen Lektionen, glaubensstärkenden Geschichten und Beispielen an Glauben und Hingabe. Aristoteles schrieb:
Die künstlerische Darstellung von Geschichte ist eine anspruchsvollere und ernsthaftere Aufgabe als das genaue Schreiben von Geschichte... Das Ziel der Kunst liegt darin, nicht die äußere Erscheinung von Dingen darzustellen, sondern ihre innere Bedeutung. Denn dies, und nicht die äußeren Details, ist wahre Realität.
Diejenigen, die an eine übernatürliche Schöpfung glauben und die natürliche Evolution ablehnen, müssten übrigens ebenso die meterologischen Erkenntnisse über die natürlichen Ursachen von Niederschlag verneinen. Heißt es doch in Ijob 5:10 über Gott:
Er spendet Regen über die Erde hin und sendet Wasser auf die weiten Fluren.
Die Entstehung von Regen wurde zu biblischen Zeiten genauso als ein Wunder angesehen wie die Entstehung der Tier- und Pflanzenarten. Beides ist durch neuere Erkenntnisse durch natürliche Prozesse erklärbar.
Der Prozess der Entstehung der Bibel ist ebenfalls von natürlichen, menschlichen Elementen beeinflusst, wie sie auch bei weltlicher Literatur in Erscheinung treten. Das israelitische Volk war von altertümlichen Mythen und Traditionen geprägt und von heidnischen Kulten umgeben und durchdrungen. Lange Zeit war es eher eine Minderheit des Volkes, die den wahren Gott verehrt hat.
Da antworteten alle Männer, die wussten, dass ihre Frauen anderen Göttern opferten, und alle Frauen, die dabeistanden, eine große Schar, sowie alle Leute, die in Ägypten und in Patros wohnten, dem Jeremia: Was das Wort betrifft, das du im Namen des Herrn zu uns gesprochen hast, so hören wir nicht auf dich. Vielmehr werden wir alles, was wir gelobt haben, gewissenhaft ausführen: Wir werden der Himmelskönigin Rauchopfer und Trankopfer darbringen, wie wir, unsere Väter, unsere Könige und unsere Großen in den Städten Judas und in den Straßen Jerusalems es getan haben. (Jeremia 44:15-17)
So musste Elia trotz seines Sieges beim Wettbewerb gegen die Baalspriester vor Isebel außer Landes fliehen. Und selbst im Tempel zu Jerusalem wurde die meiste Zeit seiner Existenz die Schlangengöttin Nehuschtan und die Göttin Ascherah verehrt. Und immer wieder lesen wir davon, wie heidnische Kultstätten und -objekte eingeführt oder zerstört wurden:
Sie verließen den Herrn, den Gott ihrer Väter, der sie aus Ägypten herausgeführt hatte, und liefen anderen Göttern nach, den Göttern der Völker, die rings um sie wohnen. Sie warfen sich vor ihnen nieder und erzürnten dadurch den Herrn. (Richter 2:12)
Salomo verehrte Astarte, die Göttin der Sidonier, und Milkom, den Götzen der Ammoniter und baute auf dem Berg östlich von Jerusalem eine Kulthöhe für Kemosch, den Götzen der Moabiter, und für Milkom, den Götzen der Ammoniter. (1. Könige 11:5,7)
Er schaffte die Kulthöhen ab, zerbrach die Steinmale, zerstörte den Kultpfahl und zerschlug die Kupferschlange, die Mose angefertigt hatte und der die Israeliten bis zu jener Zeit Rauchopfer darbrachten - man nannte sie Nehuschtan. (2. Könige 18:4)
Das Judentum hat sich erst langsam aus diesem „heidnisch“ geprägten Hintergrund heraus entwickelt. Dazu gehörte eine Verschmelzung der diversen kultischen Feste und Riten. Das jüdische Laubhüttenfest stimmt beispielsweise überein mit dem Neujahrsfest (ähnlich wie das Datum von Weihnachten und Ostern heidnische Ursprünge hat). Gleiches gilt für Mythen und Legenden, die von den biblischen Autoren auf Jahwe umgeschrieben oder angepasst wurden, aber ursprünglich in heidnischen Vorstellungen gründeten. Dass die biblischen Autoren vorhandenes kulturelles und kultisches Material verarbeiteten, lag auch daran, dass die Menschen zu der damaligen Zeit in viel geringerem Maße als heute in der Lage waren, neue Informationen aufzunehmen. Die Menschen waren viel stärker in Traditionen verwurzelt. Sie übernahmen die mündlichen Überlieferungen ihrer Ahnen, statt neue Informationen in Büchern oder dem Internet zu suchen. Wir können uns kaum vorstellen, was damalige Traditionen, fast ausschließlich mündliche und lokal begrenzte Vermittlung für das Lernen und die Aufnahme neuer Ideen bedeutet hat.
Die Geschichtsschreibung wie wir sie heute kennen, hat es schlicht und ergreifend nicht gegeben. Am gängigsten waren hingegen so genannte poetische Erzählungen, die keine nüchterne Geschichtsschreibung war, obwohl sie auch auf beobachteten Tatsachen beruhte, aber unbefangen mit Gebilden der Fantasie gemischt wurde, um zu belehren, zu erfreuen, zu rühren, zu begeistern und zu unterhalten. Solche erdichteten Geschichten haben die Menschheit von ihren frühesten Zeiten an begleitet; sie sind gewöhnlich neben den Liedern das Älteste, was von der geistigen Kultur der Völker erhalten geblieben ist. In Form von Romanen sind sie nach wie vor verbreiteter als Sachbücher und streng geschichtliche Darstellungen. Im Gegensatz zur heutigen Zeit pflegten die älteren Völker jedoch, an diese poetischen Erzählungen zu glauben und Roman und Sachbuch bedenkenlos zu vermengen. Wir können zwischen bewusster Dichtung und wirklich geschehenen Begebenheiten unterscheiden und Erzählungen in der Regel einem bestimmten Autor zuordnen. Im Gegensatz dazu ist sie bei früheren Kulturen Allgemeingut und Teil der Tradition, Identität und Überlieferung wie die Sprache. Sie hat sich über Jahrhunderte von Mund zu Mund fortgepflanzt und Unzählige haben sie verändert und angepasst.
So hat natürlich auch Israel und seine umliegenden Völker solche „erdichteten“ Geschichten besessen. Ansonsten hätte Israel eine wunderliche wie traurige Ausnahme gebildet. Und diese haben selbstverständlich auch ihren Weg ins Alte Testament gefunden.
Im Laufe der Jahre werden bei mündlicher Überlieferung Geschehnisse und Personen nahezu selbstverständlich übertrieben, übersteigert, dramatisiert und glorifiziert. Aus einer kleinen Horde wird eine Armee, der gewöhnliche Prinz zu einem übermenschlichen Helden. Nur so werden die Berichte erinnert und können ihr Publikum fesseln. Und um im Gedächtnis zu bleiben, werden sie in bekannte Formen gepresst oder in poetische Reimform gebracht.
Also sollten wir nicht erschrecken, wenn wir im Alten Testament Mischungen mit Märchenmotiven, Fabeln, Heldenlegenden und -sagen vorfinden. Manch einer hält es für einen Angriff auf die Würde und den Status der Heiligen Schrift, in der Bibel nach mythischen und sagenhaften Spuren zu suchen.
So erzählt das Alte Testament von matriarchalischen Tempelkulten (2. Könige 23:7), der Frühlingsgott als „Liebling der Frauen“ wurde verehrt (Daniel 11:37). Kulthandlungen finden in geheimnisvollen Hainen, an Quellen, heiligen Brunnen und geweihten Steinen statt. Auch die Königsmutter hatte eine besondere kultische Rolle. Oder wir lesen von einer wundersamen Pflanze, die Luther als Liebesäpfel übersetzt hat und für die Rahel sogar auf eine Nacht mit Jakob verzichtet:
Einst ging Ruben zur Zeit der Weizenernte weg und fand auf dem Feld Alraunen. Er brachte sie seiner Mutter Lea mit. Da sagte Rahel zu Lea: Gib mir doch ein paar von den Alraunen deines Sohnes! Sie aber erwiderte ihr: Ist es dir nicht genug, mir meinen Mann wegzunehmen? Nun willst du mir auch noch die Alraunen meines Sohnes nehmen? Da entgegnete Rahel: Gut, dann soll Jakob für die Alraunen deines Sohnes heute Nacht bei dir schlafen. Als Jakob am Abend vom Feld kam, ging ihm Lea entgegen und sagte: Zu mir musst du kommen! Ich habe dich nämlich erworben um den Preis der Alraunen meines Sohnes. So schlief er in jener Nacht bei ihr. (Genesis 30:14-16)
Dass Sagen, Mythen und mündliche Überlieferungen der Israeliten das Rohmaterial für die alttestamentlichen Redakteure bildeten, zeigt sich unter anderem in der Simson-Sage. Es ist doch schwer zu glauben, dass Simson den Löwen mit bloßen Händen zerriss, als würde er ein Böckchen zerreißen. (Richter 14:6) Oder dass er den noch blutigen Kinnbacken eines Esels fand, ihn mit der Hand ergriff und damit tausend Männer erschlug (Richter 15:5).
Oder wir finden Passagen, in denen Gott ebenso wie in kultischen Mythen als Kämpfer gegen Ungeheuer und Drachen dargestellt wird:
Wach auf, wach auf, bekleide dich mit Macht, Arm des Herrn! Wach auf wie in den früheren Tagen, wie bei den Generationen der Vorzeit! Warst du es nicht, der die Rahab zerhieb und den Drachen durchbohrte? (Jesaja 51:9)
Man denke auch an die dreimalige fast identische Begebenheit, in der Sara als Schwester statt Ehefrau Abrahams ausgegeben wurde (Genesis 12:10-20; 20:1-18 und 26:1-11). Typisch ist auch die „fabelhafte“ Beseelung der Natur, die sich in vielen biblischen Ausdrücken wieder findet. Das sind allerdings alles nur allegorische Bilder, nicht aber wirklicher Glaube, im Gegensatz zu anderen urtümlichen Kulturen.
Selbst die Zypressen und die Zedern des Libanon machen sich über dich lustig. (Jesaja 14:8)
Das Meer sah es und floh, der Jordan wich zurück. Die Berge hüpften wie Widder, die Hügel wie junge Lämmer. (Psalm 114:3,4)
Berge und Hügel brechen bei eurem Anblick in Jubel aus, alle Bäume auf dem Feld klatschen Beifall. (Jesaja 55:12)
Die Morgenröte wird als Wesen mit Flügeln aufgefasst (Psalm 139:9), die Unterwelt als Ungeheuer (Jesaja 5:14) und am Ende der Erde hat Gott der Sonne ein Zelt gebaut (Psalm 19:5).
Richter 9 enthält die „Fabel vom König der Bäume“, die Jotam den Bürgern von Sichem nach der Krönung seines Bruders Abimelech zum König erzählt hat. Das Alte Testament kennt auch die Vorstellung von einem Königreich der Tiere (Ijob 41:26). Übrigens soll Gott Ninive auch wegen der vielen Tiere verschont haben (Jona 4:11), die sich am Fasten beteiligen mussten (Jona 3:7). Irgendwie süss! Auch der legendäre Vogel Phönix war bekannt (Ijob 29:18), der aus der Asche in frischer Jugend emporsteigt.
In Baruch (3:16, 17) wird an sagenumwobene Könige erinnert:
Wo sind die Gebieter der Völker? Sie herrschten sogar über die Tiere der Erde und spielten mit den Vögeln des Himmels.
Im Alten Testament gibt es auch die Vorstellung von gefesselten Sternbildern und Kindern von Sternen: Knüpfst du die Bande des Siebengestirns oder löst du des Orions Fesseln? Führst du heraus des Tierkreises Sterne zur richtigen Zeit, lenkst du die Löwin samt ihren Jungen? (Ijob 38:31, 32)
Eine ehemals heidnische Legende wurde in Exodus 4:24-26 verarbeitet:
Unterwegs am Rastplatz trat der Herr dem Mose entgegen und wollte ihn töten. Zippora ergriff einen Feuerstein und schnitt ihrem Sohn die Vorhaut ab. Damit berührte sie die Beine des Mose und sagte: Ein Blutbräutigam bist du mir. Da ließ der Herr von ihm ab. «Blutbräutigam», sagte sie damals wegen der Beschneidung.
Sicherlich eine wilde, rohe Geschichte aus der Urzeit, die zunächst keinen Bezug zu Jahwe hatte, sondern von Dämonen handelte. Später wurde sie dann auf den Gott Israels übertragen. Das Wort „Beine“ ist übrigens ein zurückhaltender Ausdruck für „Scham“. In dem Bestreben, nur Jahwe zu verehren, wurden Erzählungen über heidnische Götter und Dämonen entweder verbannt oder einfach Jahwe zugeschrieben – egal, ob das dann wirklich Sinn machte oder nicht.
Dass alte Legenden und Kulte im AT verarbeitet wurden, zeigt auch Genesis 14, wo von einem Kultdrama berichtet wird. Da treffen sich neun Könige zu einem rituellen Kampf in einem Tal und der König von Sodom fällt auf der Flucht in ein Erdpechgrube, wenige Verse später zieht er aber wieder quicklebendig durch die Gegend. Alles Anzeichen für die weit verbreitete archaische Kultpraxis des Königsopfers: der König muss symbolisch in die Unterwelt hinabsteigen, um anschließend wiedergeboren zu werden. Hier wurde also höchstwahrscheinlich aus der kultischen Liturgie eine Geschichte gemacht.
Auch Jakobs Ringen mit dem Herrn (Genesis 32:23-33) könnte eine vorisraelitische Furtlegende über Dämonen, die kein Tageslicht ertragen, zugrunde liegen. Wurde sie gewaltsam umgedeutet, um sie von der Vielgötterei zu befreien? Handelt es sich um Geschichtsfälschung? Die Botschaft könnte lauten: Glaube heißt mit Gott ringen und ihn nicht loslassen, bis man Segen empfängt. Darum geht es doch eigentlich. So erwartet man bei einem Kriminalroman auch keinen Tatsachenbericht oder die akkurate Beschreibung von Polizeiarbeit.
Das Besondere an Mose wird dadurch ausgedrückt, dass er bis zu seinem Tod seine Manneskraft nicht verloren haben soll (Deut 34:7). Wahrscheinlich wurde auch die Geburtslegende König Sargons I. auf Mose projiziert, um ihm idealbiografische Züge zu verleihen - von der wundersamen Bewahrung bei seiner Geburt bis zu einem wundersamen Tod. Der babylonische König Sargon wurde angeblich von seiner Mutter in ein Kästchen aus Rohr, dessen Tür mit Erdpech verschlossen war, auf den Euphrat ausgesetzt, aber von einem Gärtner gefunden und aufgezogen.
Von einem schaurigen Schönheitsmittel wird in 1. Könige berichtet:
Als man im Teich von Samaria den Wagen ausspülte, leckten Hunde sein Blut, und Dirnen wuschen sich darin, nach dem Wort, das der Herr gesprochen hatte. (1. Könige 22:38)
Man wollte den König noch nach seinem Tod verunehren. Die Praxis entstammt dem Glauben, dass das Blut eines Königs Schönheit verleiht, was besonders im Kreise der Dirnen verbreitet war.
Auch wenn das Alte Testament kein Märchenbuch ist, beinhaltet es doch viele klassische Märchenmotive:
Wunschdinge: Der Mehltopf wird nicht leer werden und der Ölkrug nicht versiegen bis zu dem Tag, an dem der Herr wieder Regen auf den Erdboden sendet. (1. Könige 17:14)
Freie Wünsche: In Gibeon erschien der Herr dem Salomo nachts im Traum und forderte ihn auf: Sprich eine Bitte aus, die ich dir gewähren soll. (1. Könige 3:5)
Geisterreisen: Er streckte etwas aus, das wie eine Hand aussah, und packte mich an meinen Haaren. Und der Geist hob mich empor zwischen Erde und Himmel und brachte mich in einer göttlichen Vision nach Jerusalem (...). (Ezechiel 8:3)
Riesenlegenden: Dort wurden die Riesen geboren, die berühmten Männer der Urzeit, hoch an Wuchs und Meister im Kampf. Und doch hat Gott nicht diese erwählt, nicht ihnen den Weg der Weisheit gezeigt. Sie gingen zugrunde, weil sie ohne Einsicht waren; ihrer Torheit wegen gingen sie unter. (Baruch 3:26-28); Goliat: Auf seinem Kopf hatte er einen Helm aus Bronze und er trug einen Schuppenpanzer aus Bronze, der fünftausend Schekel wog [1 Schekel = 12g, das heißt 60kg]. (1. Samuel 17:4); In jenen Tagen gab es auf der Erde die Riesen, und auch später noch, nachdem sich die Gottessöhne mit den Menschentöchtern eingelassen und diese ihnen Kinder geboren hatten. Das sind die Helden der Vorzeit, die berühmten Männer. (Genesis 6:4)
Wunderkraft des Körpers von Gottesmännern: Als man einmal einen Toten begrub und eine dieser Scharen erblickte, warf man den Toten in das Grab Elischas und floh. Sobald aber der Tote die Gebeine Elischas berührte, wurde er wieder lebendig und richtete sich auf. (2. Könige 13:21)
Zauberstab: Als Mose am nächsten Tag zum Zelt der Bundesurkunde kam, da war der Stab Aarons, der das Haus Levi vertrat, grün geworden; er trieb Zweige, blühte und trug Mandeln. (Numeri 17:23)
Veränderung des Laufs der Sonne: Siehe, ich lasse den Schatten, der auf den Stufen des Ahas bereits herabgestiegen ist, wieder zehn Stufen hinaufsteigen. Da stieg der Schatten auf den Stufen, die er bereits herabgestiegen war, wieder zehn Stufen hinauf. (Jesaja 38:8); Und die Sonne blieb stehen und der Mond stand still, bis das Volk an seinen Feinden Rache genommen hatte. Das steht im «Buch des Aufrechten». Die Sonne blieb also mitten am Himmel stehen und ihr Untergang verzögerte sich, ungefähr einen ganzen Tag lang. (Josua 10:13)
Zaubermittel: Doch er befahl: Bringt mir etwas Mehl! Er streute das Mehl in den Topf und sagte: Setzt es nun den Leuten zum Essen vor! Jetzt war nichts Schädliches mehr im Topf. (2. Könige 4:41)
Mit Blindheit schlagen: Als dann die Aramäer anrückten, betete Elischa zum Herrn und rief: Schlag doch diese Leute mit Verblendung! Und der Herr schlug sie auf das Wort Elischas hin mit Verblendung. Daraufhin sagte Elischa zu ihnen: Das ist nicht der richtige Weg und nicht die richtige Stadt. Folgt mir! Ich werde euch zu dem Mann führen, den ihr sucht. Er führte sie aber nach Samaria. Als sie dort angekommen waren, betete Elischa: Herr, öffne ihnen die Augen, damit sie sehen. Der Herr öffnete ihnen die Augen und sie sahen, dass sie mitten in Samaria waren. (2. Könige 6:18-20)
Verwandlung von Menschen in Tiere: Noch in derselben Stunde erfüllte sich dieser Spruch an Nebukadnezzar: Man verstieß ihn aus der Gemeinschaft der Menschen und er musste sich von Gras ernähren wie die Ochsen. Der Tau des Himmels benetzte seinen Körper, bis seine Haare so lang wie Adlerfedern waren und seine Nägel wie Vogelkrallen. (Daniel 4:30)
Vorgeprägte Motive: So wie Ritter Drachen töten, haben Helden im alten Israel Löwen getötet (Simson: Richter 14:5,6; David: 1. Sam. 17:34-36).
Ganz wichtig ist zu bedenken, dass das geschriebene Wort historisch relativ spät eingesetzt hat und in der Antike nur sehr Wenigen zugänglich war. Die älteste Schrift ist die der Sumerer, die um 3 000 v.Chr. in Mesopotamien entwickelt wurde. Bis zum Reich Davids (930 v.Chr.) hat man wenig geschrieben und eher erzählt und gesungen. Erst am königlichen Hof gab es Männer, die schreiben konnten und die Muße hatten, die vorher im Nomadentum oder während der Eroberungskriege fehlte. Schreiben war viel schwieriger, Schreibmaterial – nämlich Tontäfelchen - umständlicher zu handhaben und zu transportieren. Außerdem waren die ältesten Schriften unvollständig, mehrdeutig und kompliziert. Anfangs diente sie lediglich für plumpe Aufzeichnungen im Telegrammstil. Die sumerische Keilschrift ermöglichte zwar Prosa, aber nur in einer komplizierten Mischung aus Hunderten Logogrammen und Zeichen. Die Kunst des Schreibens blieb daher lange ausgebildeten Schreibern vorbehalten, die im Dienst der Könige standen. Etwa 90 Prozent der Schrifttafeln aus den ältesten sumerischen Archiven sind reine buchhalterische Auflistungen.
Die Schreiber haben dann aus den vorhandenen Legenden eine Vergangenheit erschaffen, welche sie für das auserwählte Volk als würdig erachteten. Dass eine Nation sich die eigene Vergangenheit glorreich ausschmückt, ist weder ungewöhnlich noch selten. Dieser „Propaganda-Effekt“ zeigt sich auch in der Rechtfertigung der Tötung von Sauls Nachkommen durch David beziehungsweise seine bereitwillige Auslieferung der sieben Söhne an die Philister. Dass Personen, die einem König den Thron streitig machen könnten, umgebracht wurden, war keine Seltenheit. Übrigens ist der Bericht, dass sie zur Erntezeit getötet wurden, ebenso wie von Davids Umgang mit den Gebeinen ein Hinweis auf heidnische Praktiken.
Viele historische Ereignisse wurden im Verlauf der Geschichte Israels und je nach Standpunkt anders verstanden und interpretiert. Es macht eben einen Unterschied, ob ein Profet aus dem Nordstaat Israel oder dem Südstaat Juda kam, ob man aus der Perspektive des gerade vollzogenen Übergangs vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit, vom Übergang des Stammesbündnisses in Kanaan zum Königreich oder der Blüte des israelischen Reiches unter Davids und Salomos Regentschaft blickt. Die biblischen Berichte wurden hierbei mehrfach überarbeitet, beispielsweise während der Restauration des Tempels und der Reformation unter König Josua (639 bis 609 v.Chr.), der festgestellt hatte, dass das Volk den Herrn verlassen und anderen Göttern geopfert hat (s. 2. Könige 22:17). Ein Großteil des Alten Testaments wurde gar erst nach der Deportation nach Babylon im 6. Jahrhundert vor Christi verfasst.
Die biblischen Redakteure haben zudem verschiedene Quellen und Berichte zu einem einheitlichen Buch zusammengefügt. Einige Bücher, die es einst gegeben hat, sind verloren gegangen: In Numeri 14:9 spricht es von einem Buch der Kriege des Herrn und in Josua 10:13 vom Buch des Aufrechten.
Hin und wieder erkennt man Nahtstellen zwischen verschiedenen zugrunde liegenden Quellen:
Da ging Mose zum Volk hinunter und sagte es ihnen. (Exodus 19:25)
Dann sprach Gott alle diese Worte. (Exodus 20:1)
Dadurch sind einige Widersprüche aufgekommen. Sara soll demnach mit 60 Jahren immer noch so begehrenswert gewesen sein, dass der Pharao sie bei ihrem Aufenthalt in Ägypten in sein Harem holt. Und selbst mit 90 Jahren hätte sie so viel Liebreiz besessen, dass sie noch einmal dasselbe durchmacht (siehe Genesis 20). Oder es kam zu Dubletten etwa bei der wundersamen Beschaffung von Trinkwasser (Exodus 17:1-7 und Numeri 20:1-12).
Zu den Duplikaten zählen auch die zwei Schöpfungsberichte einmal in Genesis 1 und Genesis 2 (ab Vers 4, zweiter Satz) und 3, die zwei Berichte von Hagar und Ischmaels Vertreibung (Genesis 16 und 21) sowie die zwei Berufungen Moses (Exodus 3 und 6). Die Schöpfungsberichte waren vermutlich zunächst zwei getrennte Erzählungen, die nachträglich als geistige und körperliche Schöpfung zusammengesetzt wurden. Durch das Verarbeiten und Zusammenfügen verschiedener Quellen erklärt sich auch, dass Noach mal sieben Paare der reinen Tiere in die Arche nimmt (Genesis 7:2) und dann scheinbar generell nur jeweils ein Paar (Genesis 7:9, 15). Mal wird von Sinai, mal von Horeb als dem Berg gesprochen, auf dem der Herr seinen Bund gebracht hat. Mal heißen die Menschen in Palästina Kanaaniter, mal Amoriter.
Neben althebräischer Sagen und Überlieferungen wurden auch Vorstellungen angrenzender Völker verarbeitet. Die einwandernden Stämme Israels übernahmen die Sprache der Kanaaniter und damit auch Erzählungen, Festzeiten, Heiligtümer, Riten und Gebräuche (siehe auch Sprichwörter 30:1; 31:1). Dies erklärt die vielen Übereinstimmungen mit Traditionen, die im Ugaritischen und anderen kanaanäischen Kulten beheimatet sind. Zum Teil geschah dies bewusst, da die Menschen mit diesen Mythen vertraut waren. Dadurch wurden gerade die Unterschiede zu den anderen Göttern vermittelt. Beispielsweise dass Jahwe nicht das Schicksal seines Volkes im Voraus bestimmte oder selbstsüchtig und willkürlich handelte .
Das Alte Testament ist somit ein komplexes Produkt seiner Zeit und Kultur, der damaligen Art des Erzählens und Schreibens sowie des damaligen Verständnisses der Welt.

Was man im Seminar und Institut nicht über das Neue Testament lernt


Rund 100 Jahre Bibelforschung haben zahlreiche Erkenntnisse (manche davon durchaus umstritten) geliefert darüber, wer die vermeintlichen Verfasser des Neuen Testaments sind und worin sie sich unterscheiden im Hinblick auf das Leben Jesu sowie wichtigen Lehren. Wie ist der Kanon entstanden bzw. was gibt es an außerkanonischen Schriften? Was kann man über den historischen Jesus rekonstruieren sowie darüber, wie das Christentum entstanden ist? In der Kirche Jesu Christi werden diese Erkenntnisse weitestgehend ignoriert oder gar verteufelt. Einige der Erkenntnisse sind (nach Bart D. Ehrmans Buch 'Jesus im Zerrspiegel'):

Keines der Evangelien wurde von Augenzeugen geschrieben, sondern frühestens 35 bis 40 Jahre nach Jesu Tod. Die Evangelien wurden erst rund 100 Jahre danach Verfassern zugeschrieben, um ihnen stärkere Autorität zu verleihen. Wir wissen jedoch nicht, wer sie wirklich verfasst hat (sie wurden anonym verfasst und sprechen von den Jüngern Jesu in der dritten Person). Das Johannes-Evangelium wurde zwar voraussichtlich von einem Johannes geschrieben, dieser war jedoch nicht mit dem Lieblingsjünger Jesu identisch (siehe Joh. 21:7,24). Die ursprünglichen Jünger sprachen nur aramäisch und waren mit großer Wahrscheinlichkeit Analphabeten, die Autoren der Evangelien hingegen hochgebildet und griechischsprachig.

Markus wurde wahrscheinlich als erstes geschrieben (65-70 n.Chr.). Die letzten 12 Verse in Markus zur Auferstehung wurden von einem anderen Schreiber hinzugefügt. Matthäus und Lukas nutzten Markus als Quelle und wurden 15-20 Jahre später geschrieben. Johannes kam noch einmal später hinzu (90-95 n.Chr.).

Bei Markus und Johannes tritt Jesus erst als Erwachsener auf den Plan. Bei Matthäus gibt es keine Hirten bei Jesu Geburt, dafür aber weise Männer, die kommen, um Jesus anzubeten. Bei Lukas gibt es keine Weisen, dafür aber Hirten, die kommen, um Jesus anzubeten. Eine landesweite Volkszählung wird nirgends erwähnt und schon gar nicht bei der die Menschen in ihre Herkunftsstadt zurückkehren mussten. Matthäus und Lukas haben vermutlich unterschiedliche Geschichten konstruiert, um zu zeigen, dass wie nach Micha der Retter aus Bethlehem kam, obwohl Jesus bekanntermaßen aus Nazareth kam.

Bei Markus geschieht die Tempelreinigung zwei Wochen vor Jesu Tod, bei Johannes am Anfang Jesu öffentlichem Auftreten. Bei Johannes erzählt Jesu kein einziges Gleichnis, treibt keine Dämonen aus, wird nicht getauft und führt nicht das Abendmahl ein. Nur bei Johannes wird deutlich, dass Jesus der Retter und der Herr ist, die Inkarnation eines präexistenten göttlichen Wesens. Während Jesus bei Markus von Gott und dem kommenden Reich spricht (welches noch während der Lebenszeit der Jünger kommen sollte), spricht er bei Johannes praktisch nur von sich selbst. Während Matthäus Wunder als Zeichen ablehnt, begrüßt Johannes diese.

Die Geschichte mit Jesus und der Ehebrecherin in Johannes, wonach er die Ankläger mit der Aussage verschämt haben soll, wer ohne Sünde sei, werfe den ersten Stein, ist in den ersten Manuskripten nicht enthalten und wurde später hinzugefügt.

Nach Markus stirbt Jesus morgens am Passahtag, bei Johannes am Nachmittag des Vorbereitungstags für das Passah. Johannes wollte damit wahrscheinlich zeigen, dass Jesus das Opferlamm war und starb als im Tempel die Passahlämmer geschlachtet wurden.

Nach Markus hat Jesus fast nichts bei seinem Prozess gesagt, bei Johannes hält er lange Reden. Nur bei Johannes erklärt Pilatus Jesus für unschuldig und gibt damit den Juden die volle Schuld.
Bei Markus stirbt Jesus qualvoll und im Ungewissen über den Grund seines Todes, um zu zeigen, dass Gott im Hintergrund arbeitet und letztlich Leid zu Heil wandelt, auch wenn dies im Moment nicht erkennbar ist. Bei Lukas hingegen ist er souverän und stark, immer der Gegenwart Gottes in seinem Leben gewiss.

Die 4 Evangelien widersprechen sich in fast allen Details zur Auferstehung: Wer ging zum Grab? War der Stein schon weggerollt? War dort ein Engel? Was wurde ihnen gesagt?

Von den 14 Paulus zugeschriebenen Briefen wurden nur 7 von Paulus verfasst (Römer, 1. Und 2. Korinther, Galater, Philipper, 1. Thessalonicher und Philemon), die anderen sind gefälscht. Der Jakobusbrief wurde zwar von einem Jakobus geschrieben, aber es muss nicht der Bruder Jesu gewesen sein. Und auch von der Johannesoffenbarung wissen wir nicht, wer dieser Johannes war. Der Hebräerbrief sowie die Johannesbriefe wurden anonym verfasst. Hebräer stammt mit großer Sicherheit nicht von Paulus. Und der Verfasser des ersten Petrusbriefs hat nicht den zweiten geschrieben. Beide sind vermutlich ebenso Fälschungen wie einige der Paulusbriefe.

Im ersten Evangelium (Markus) wird Jesus als reiner Mensch porträtiert, beim folgenden Lukas ist er bereits ein Halbgott und bei Johannes schließlich sogar gleichgestellt mit Gott - also eine stetige Entwicklung der Lehre über die Zeit hinweg.

Die Art der Porträtierung von Jesus, der auf wundervolle Weise gezeugt wurde, Wunder vollbrachte wie Heilungen und Totenerweckungen und nach dem Tod in den Himmel aufgefahren ist, war in der damaligen Zeit nicht ungewöhnlich (siehe Apollonius von Tyana) und entsprach der verbreiteten heidnischen Vorstellung eines Halbgottes.