Geimpft gegen Rinder und Schafe



Bei der Lektüre von Jared Diamonds Buch „Arm und Reich – Die Schicksale menschlicher Gesellschaften“ sind mir diese Passagen aufgefallen (neben Ausführungen zu militärischer Ausstattung, Metallverarbeitung, Technologien wie Rad, Landwirtschaft usw.):

„Ganz anders war die Situation in Mesoamerika: Dort gab es nur zwei domestizierbare Tiere (Truthahn und Hund)“ (S. 165)
„Demgegenüber besaßen Nord- und Südamerika nur eine einzige große  domestizierte Säugetierart [definiert als schwerer als 45kg], das Lama/Alpaka, dessen Verbreitungsgebiet auf einen kleinen Teil der Anden und die Küste Perus beschränkt war [also nirgendwo nahe Mesoamerikas].“ (S. 439)

Also: Im Buch Mormon Land (Mesoamerika) gab es keine Kühe, keine Schafe, keine Ziegen, keine Schweine oder Pferde und auch keine vergleichbaren domestizierten Tiere.

Was lesen wir aber im Buch Mormon?

„Und es begab sich: Das Volk Nephi bebaute das Land und zog allerlei Getreide und Früchte und vielerlei Herden und Herden mit allerlei Rindern jeder Art und Ziegen und Wildziegen und auch viele Pferde.“ (Enos 1:21)
„Aber Ammon sprach zu ihm: Nein, aber ich will dein Knecht sein. Darum wurde Ammon ein Knecht König Lamonis. Und es begab sich: Er wurde anderen Knechten beigegeben, um Lamonis Herden zu hüten, gemäß dem Brauch der Lamaniten.“ (Alma 17:25)
„So werden wir mit unseren Frauen und unseren Kindern, mit unserem Kleinvieh und unseren Herden in die Wildnis hinausziehen, und wir werden den Weg um das Land Schilom nehmen.“ (Mosia 22:8)
„Und der Herr war mit uns; und es erging uns über die Maßen wohl; denn wir säten Samen, und wir ernteten dann reichlich. Und wir fingen an, Kleinvieh und Herden und Tiere aller Art zu ziehen.“ (2. Nephi 5:11)
„und auch allerart Rinder, Ochsen und Kühe und Schafe und Schweine und Ziegen und auch viele andere Arten von Tieren, die für die Nahrung des Menschen nützlich waren.“ (Ether 9:18)
„O ihr, die ihr Übles tut; ihr, die ihr aufgeblasen seid in den Nichtigkeiten der Welt; ihr, die ihr behauptet habt, ihr kenntet die Wege der Rechtschaffenheit, und doch irregegangen seid wie Schafe, die keinen Hirten haben, obgleich ein Hirte nach euch gerufen hat und noch immer nach euch ruft, aber ihr wollt nicht auf seine Stimme hören!“ (Alma 5:37)
„Darum gab es für die Räuber keine Möglichkeit, zu plündern und Nahrung zu erlangen, außer in offenem Kampf gegen die Nephiten heranzuziehen; und die Nephiten waren in nur einer Gruppe und waren an Zahl so viele und hatten für sich Vorräte angehäuft und Pferde und Rinder und Kleinvieh jeder Art, so daß sie für den Zeitraum von sieben Jahren überleben konnten, in welcher Zeit sie hofften, die Räuber vom Antlitz des Landes hinweg zu vernichten; und so verging das achtzehnte Jahr.“ (3 Nephi 4:4)

Das ist wie wenn man in einer Übersetzung eines vermeintlich antiken römischen Texts ständig von Kängurus oder ähnlichem lesen würde. Zunächst dachte ich: alter Hut! Der Vorwurf von Anachronismen im Buch Mormon – Weizen, Zement, Stahl, Pferde, Christologie… – ist bestimmt schon 100 Jahre alt und wurde längst von Experten der BYU & Co. adressiert. Tatsächlich findet man auf Kirchenseiten, beim Maxwell-Institut oder FAIR dazu nur Scheinargumente: Es könnten ja irgendwelche anderen Tiere sein, die Knochenreste sind alle verschwunden oder noch nicht gefunden…

Eigentlich würde man von der Kirche erwarten, dass sie damit seriös und ehrlich umgeht und klar sagt: Nach heutigem Kenntnisstand hat sich das Buch Mormon entweder auf irgendeinem anderen Kontinent abgespielt, Joseph Smith hat sich beim Übersetzen übelst vertan oder das ganze Buch ist allenfalls inspirierte Fiktion.

Bleibt die Frage: Warum ist mir dieser augenscheinliche Widerspruch nie so aufgefallen? Aus 3 Gründen:
1. Durch das quasi Aufsaugen des Buch Mormons mit der Muttermilch und dem gebetsmühlenartigen ständigen „Ich weiß, dass das Buch Mormon wahr ist“ war die Vorstellung, das Buch Mormon könne reine Fiktion sein überhaupt nicht denkbar.
2. Viele Funde schienen die Wahrheit des Buch Mormon zu belegen: von Quetzalcoatl, dem weißen Gott, über die Tempelanlagen in Mexiko und Guatemala, Chiasmus usw. John Sorenson ist es sogar angeblich gelungen, die Geographie des Buches Mormon mit den Orten in Mesoamerika zusammenzubringen. Tatsächlich gibt es außer Chiasmus, NHM in Arabien und der internen Konsistenz und Komplexität des Buches keinerlei ernstzunehmende Belege für die antike Herkunft.
3. Die Vorwürfe werden von der Kirche diskreditiert als üble Versuche von Anti-Mormonen und alte Hüte, die längst beantwortet wurden, oder genereller Skepsis an sich ständig revidierenden wissenschaftlichen Theorien. Ich erinnere mich in dem Zusammenhang an Ansprachen, wo es hieß, dass von so und so vielen Kritikpunkten am Buch Mormon mittlerweile 90% widerlegt seien und es daher töricht sei, wegen noch nicht beantworteter Punkte die Wahrheit abzulehnen.

All das führte dazu, dass ich quasi gegen diese Vorwürfe immun war. Denn ich kannte die Aspekte und wusste oberflächlich, dass es dafür irgendeine Antwort gibt. Wenn ich also mit der Frage nach Pferden, Stahl & Co. im Buch Mormon konfrontiert wurde, habe ich nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Wahnsinn! So funktioniert effektive Indoktrination.