Und noch ein Pergament…



Nur den wenigsten Mormonen ist bewusst, dass auch Lehre und Bündnisse Abschnitt 7 eine Übersetzung eines altertümlichen Pergaments sein soll. Von der Einleitung: 
„Offenbarung, gegeben an Joseph Smith, den Propheten, und an Oliver Cowdery im April 1829 zu Harmony, Pennsylvania, als sie durch den Urim und Tummim die Frage stellten, ob Johannes, der geliebte Jünger, noch im Fleische weile oder gestorben sei. Die Offenbarung ist eine übersetzte Wiedergabe des Berichts, den Johannes auf Pergament geschrieben und selbst verborgen hatte ( History of the Church , 1:35–36).“


Ist schon klar, wohl eher eine Fabrikation aus dem 19. Jahrhundert wie das Buch Abraham und Buch Mormon. Kein ernsthafter Bibelforscher würde heute das Buch Offenbarung dem Apostel Johannes zuschreiben. In der historisch-kritischen Exegese wird der Apostel Johannes auch als Autor des Johannesevangeliums ausgeschlossen. 

Das ist allerdings für die LDS-Kirche ein schwerwiegendes Problem, behauptet doch das Buch Mormon angeblich schon 600 v. Chr.:

Und ich, Nephi, habe vernommen und gebe Zeugnis, daß der Name des Apostels des Lammes Johannes ist, gemäß dem Wort des Engels.“ (1. Nephi 14:27)


Mit hoher Wahrscheinlichkeit war Johannes als Fischer Analphabet, mit Sicherheit nicht gebildet genug, um ein solches Werk in einer ihm fremden Sprache zu verfassen. Nur, wenn er tatsächlich nicht sterblich war, hätte er es durchaus um 100 nach Christi schreiben können.

Die Allgemeinheit der Mormonen tappt vollständig im Dunkeln über das, was die Bibelwissenschaft in den letzten 200 Jahren über die Bibel herausgefunden hat im Wege historischer, archäologischer, sprachlicher und textlicher Untersuchungen. Den meisten Mormonen sind die Methoden und Erkenntnisse der so genannten historisch-kritischen Exegese vollkommen unbekannt. Da geht es um die Frage, was die biblischen Texte in ihrem ursprünglichen Kontext gesagt und bedeutet haben, wer die Verfasser sind, wie und wann sie entstanden sind. Was waren Quelltexte? Was für Widersprüche gibt es?


Die historisch-kritische Methode ist Bestandteil der evangelischen und katholischen Theologiestudiums und für nicht-fundamentalistische Gläubige weniger herausfordernd als für Mormonen. Denn für diese Christen spielt es eine untergeordnete Rolle, ob die Sprachenverwirrung beim Turmbau zu Babel wirklich stattgefunden hat oder dass Adam, Noah, Abraham und Mose legendäre Gestalten sind oder Jesaja von mehreren Autoren und teils erst nach der babylonischen Gefangenschaft geschrieben wurde. Die Sprachenverwirrung ist für Mormonen jedoch Ausgangspunkt für die Abreise der Jarediten nach Amerika und Joseph Smith hat behauptet, von nahezu allen der alttestamentlichen Patriarchen besucht worden zu sein und Vollmachten übertragen bekommen zu haben. Und auch ohne Flut konnte ein Noah ja wohl kaum von Missouri in das Gebiet der heutigen Türkei gelangen. Oder wie sollten Teile vom 2. Jesaja auf den Messingplatten Lehis enthalten gewesen sein?


Schon allein das sollte genügen, um die Lächerlichkeit und Absurdität des mormonischen biblischen Verständnisses zu erkennen. Wovor die meisten Christen dann aber noch zurückschrecken, ist sich mit der Historizität von Jesus Christus auseinanderzusetzen. Der Rockstar unter den amerikanischen Bibelwissenschaften, Bart Ehrman, hat hierzu ein neues Buch veröffentlicht. Und diesen Podcast kann ich dazu wärmstens empfehlen:


Aber, wer seinen Glauben an den Sohn Gottes aufrecht erhalten will, sollte besser die Finger davon lassen. Lieber nicht von diesem Baum der Erkenntnis kosten!

Übersetzung von Buch Abraham und Buch Mormon


Dank dem neuen Essay der Kirche zum Buch Abraham (unter https://www.lds.org/topics/translation-and-historicity-of-the-book-of-abraham?lang=eng&query=abraham) herrscht endlich Klarheit. Oder?

Also, bei der Übersetzung vom Buch Abraham hat Joseph Smith zwar die altertümliche Vorlage (Papyrusrollen) benutzt, aber der "übersetzte" Inhalt hat nur bedingt mit der Vorlage zu tun. Denn auf der Rolle steht nichts von Abraham und sie stammt aus einer viel späteren Epoche. Beim Buch Mormon hingegen hat er bei der Übersetzung die Vorlage überhaupt nicht genutzt. Er hat ja seinen Kopf in den Hut mit dem Stein gesteckt, während die Platten verdeckt blieben. Der "übersetzte" Inhalt soll sich hingegen an der Vorlage orientieren.

Gott hat also Joseph Smith glauben lassen, er hätte tatsächlich die Aufzeichnungen Abrahams vor sich: "Eine Übersetzung einiger alter Aufzeichnungen, die aus den Katakomben Ägyptens in unsere Hände gelangt sind. Die Schriften Abrahams, während er in Ägypten war, das Buch Abraham genannt, von seiner eigenen Hand auf Papyrus geschrieben." (History of the Church , 2:235–236, 348–351.) und hat ihm dann Inhalte eingegeben, die historisch richtig sind, aber sich nicht in dem eigentlich vorliegenden Texten wiederfinden. Und damit hat Gott auch uns hinters Licht geführt, denn er hat Joseph Smith inspiriert, Vers 14 zu diktieren: "Damit ihr eine Vorstellung von diesen Göttern habt, habe ich euch in den Abbildungen am Anfang ihr Aussehen angegeben, und diese Art von Abbildungen wird von den Chaldäern „Ralinos“ genannt, was Hieroglyphen bedeutet."

Mittlerweile wissen wir aber, dass die Abbildungen überhaupt nicht das darstellen, was uns Joseph Smith dazu erzählt hat. Und wir wissen auch, dass Joseph einfach Hieroglyphen in die Abbildungen hineinkopiert hat (siehe https://www.dropbox.com/s/tz1iy4q7w39wvor/The%20Book%20of%20Abraham%20Criticisms%20Defenses%20and%20Implications.pdf)


Dass das Buch Abraham dennoch glaubwürdig ist, zeigt laut Essay unter anderem die geradezu frappierende Übereinstimmung von “the plain of Olishem,” mit der Stadt “Ulisum,” im Nordwesten Syriens. Das kann unmöglich Zufall sein, dazu sind die Namen einfach viel zu ähnlich!!! 

Also soll der Inhalt des Buchs Abraham auf den wirklichen Abraham zurückgehen, obwohl es von einem späteren Text mit völlig anderer Bedeutung stammt.

Beim Buch Mormon ist es hingegen genau umgekehrt: Der Inhalt ist, wie sich herausgestellt hat, mindestens teilweise zeitgenössisch, während die Vorlage älteren Datums sein soll. So entstammen einige Namen möglicherweise “Walker’s Dictionary”, welches in den 1820ern zum Unterricht in den New Yorker Schulen gehörte: 




Viele Ortsnamen ähneln auffällig stark Orten in Joseph Smiths Gegend (siehe http://www.solomonspalding.com/docs2/2001vern.htm):
 

Oder man denke an die überraschenden Parallelen mit dem Buch ‚Late War Between the United States and Great Britain‘, welches 1816 in New York veröffentlicht wurde (siehe http://wordtreefoundation.github.io/thelatewar/)

Zusammengefasst: Beim Buch Abraham wissen wir, dass das Buch nichts mit der antiken Vorlage zu tun hat. Und beim Buch Mormon haben wir die Vorlage nicht, wissen aber, dass die Inhalte in Teilen aus neuzeitlichen Quellen stammen (also nicht aus antiken).

Ich bin ein Fan von Ockhams Rasiermesser (auch Prinzip der Parsimonie, lex parsimoniae oder Sparsamkeitsprinzip), welches nach Wikipedia vereinfacht ausgedrückt besagt:

  1. Von mehreren möglichen Erklärungen desselben Sachverhalts ist die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen.
  2. Eine Theorie ist einfach, wenn sie möglichst wenige Variablen und Hypothesen enthält, die in klaren logischen Beziehungen zueinander stehen, aus denen der zu erklärende Sachverhalt logisch folgt.
Was ist demnach einfacher, logischer und wahrscheinlicher?
(a) Buch Abraham und Buch Mormon entstammen beide der Imagination Joseph Smiths unter Verwendung diverser ihm ganz normal verfügbarer Quellen. Sie haben absolut nichts mit goldenen Platten oder Papyrusrollen zu tun.
(b) Gott hat Joseph irgendwie benutzt und Joseph brauchte für seine Offenbarungen etwas Handfestes, was ihn veranlasste aus einem Mix aus altertümlichen, historischen Wahrheiten und Begebenheiten sowie zeitgenössischen Quellen göttliche Wahrheiten ans Licht zu bringen, beispielsweise warum die Indianer dunkle Haut haben und die Nachfahren Kains verflucht sind, auch wenn die Vorlagen nutzlos und sogar was ganz anderes sagen.

Das ist jetzt wirklich schwierig zu entscheiden. Ich glaube, da bete ich besser drüber.

Und weil es lustig ist: