Bewusstsein, Seele und Nahtoderfahrung


Kognitionswissenschaftler wie John Searle sehen das menschliche Gehirn als ein Organ wie jedes andere – naja, mit dem Unterschied eben, Bewusstsein erzeugen zu können: „Bewusstsein ist, kurz gesagt, ein biologisches Merkmal des Menschenhirns und des Hirns gewisser anderer Lebewesen. Es wird durch neurobiologische Vorgänge verursacht und ist ein Bestandteil der natürlichen biologischen Ordnung wie jedes andere biologische Merkmal (Photosynthese, Verdauung, Mitose).“

Alle Empfindungen und bewusstes Erleben, all unsere Gedanken, Erinnerungen und Emotionen sollen letztlich bloß elektro-chemische Prozesse im Gehirn darstellen? Demnach hört beim klinischen Tod das Herz auf zu schlagen, Sekunden später verlieren wir das Bewusstsein, der Hirnstamm stellt die Funktion ein und kurz darauf erlöschen alle elektrischen Signale im Gehirn.  Unsere Erinnerungen und Persönlichkeit gehen mit der Auflösung der Nervenzellen und der Einstellung der Nervenzellkontakte verloren – ähnlich wie bei einem Schlaganfall oder Demenz, nur plötzlich und endgültig. Letztlich löst sich mit unserem Körper auch unsere DNA auf und die individuelle, codierte Erbinformation zerfällt für immer. Klingt wenig ansprechend, tröstlich und hoffnungsvoll! Bei Menschen, die einen Herzstillstand erleben, kann es zu folgendem Effekt kommen: der Mangel an Sauerstoff im zentralen Nervensystem führt zu einer Ausschüttung des Neurotransmitters Glutamat, welches normalerweise gebunden ist und in Überdosen zum Absterben von Neuronen führt. Um diesen Zelltot zu verhindern, werden schützende Stoffe ausgeschüttet wie Ketamin, welches wiederum Albträume und Halluzinationen hervorrufen kann, ebenso MDMA, welches in der Droge Ecstasy enthalten ist. Was diese Personen also als Nahtoderlebnis erfahren, ist nichts anderes als eine Illusion, die durch die Ausschüttung körpereigener Substanzen hervorgerufen wird. Ist jetzt nicht so sexy wie der mögliche Blick in ein Leben nach dem Tod und würde als Buch wohl kaum ein Bestseller werden...



Zugegeben: viele Aspekte im Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein sind noch ungeklärt. Die Zusammenhänge sind wahnsinnig komplex und der Sprung zwischen physikalisch beschreibbaren und mental erlebbaren Zuständen ist wahnsinnig schwierig zu untersuchen. Und ja, im Hinblick auf Nahtoterfahrungen gibt es bislang auch nur biochemische Erklärungsansätze, aber noch keine gesicherten Erkenntnisse. Unter anderem, weil man bei Herzstillstand primär damit beschäftigt ist, aus dem Nahtod keinen wirklichen Tod werden zu lassen. Man konnte in Experimenten aber schon durch elektrische Impulse ein Über-dem-Körper-Schweben-Erlebnis herbeiführen, weiß ein bisschen was darüber, wo im Gehirn die Orientierung und Differenzierung zwischen Realität und Fantasie angesiedelt ist und wie das manipuliert werden, dass das Gehirn im wahrsten Sinne des Wortes LSD-Trips auslösen kann usw. Interessant sind auch kulturelle Unterschiede von Nahtoderlebnissen, die auch eher für Halluzinationen sprechen, ebenso wie die Unfähigkeit, auf Schränken platzierte Botschaften in OP-Sälen wiedergeben zu können.

Alles weist also eher in Richtung natürlicher Erklärungen. Schließlich dachte man im 17. Jahrhundert genauso, dass Licht etwas okultes und nichts Physikalisches sei. Jedwede übernatürliche Erklärung befindet sich auf dem Rückzug. Wir sind in der Lage immer mehr vermeintlich ‚übernatürliche‘ Phänomene natürlich zu erklären und nicht umgekehrt. Auch wenn unser Bewusstsein noch lange nicht in Gänze erforscht ist, gilt als ziemlich gesichert, dass alle geistigen Vorgänge mit neuronalen Prozessen in bestimmten Hirnarealen einhergehen. Es gibt kein Erleben, das nicht mit elektro-chemischen Prozessen im Gehirn verbunden ist. Es gibt daher keine Hinweise auf ein Bewusstsein unabhängig oder jenseits des Gehirns. Okay, es gibt Neurowissenschaftler wie Christof Koch, der die Theorie der neuronalen Korrelate des Bewusstseins im Kontext des Bindungsproblems entwickelte, und Giulio Tononi, die eine wissenschaftliche Form des Panpsychismus begründet haben, wonach Bewusstsein vorhanden sein soll, wenn ausreichend 'integrierte' Information in einem Netzwerk vorliegt. Dieser Theorie zufolge hätten auch unsere Smartphones eine Form von Bewusstsein. Nur uns ist das eben nicht bewusst. Bewusstsein könnte demnach eine fundamentale Eigenschaft im Universum sein so wie Raum, Zeit, Masse oder Energie. Möglicherweise werden wir nie eine zufriedenstellende Erklärung für das Bewusstsein finden und alles andere erklären können bis auf uns selbst. Noch unmöglicher erscheint es, mit Sicherheit sagen zu können, was genau beim Tod geschieht. Aber das heißt nicht, dass der Mangel an Beweisen für übernatürliche Theorien spricht. Und schon gar nicht für pseudo-wissenschaftliche Erklärungen, Betrügereien und urbane Legenden. Es heißt einfach nur, dass wir es noch nicht wissen, erklären oder beweisen können.


Eine dieser Legenden ist ja, dass man angeblich einen Gewichtsverlust beim Tod feststellen könne. Als ob die Seele ein Gewicht hätte. Das Ganze geht auf den Arzt Duncan MacDougall und seine Experimente aus dem Jahr 1907 zurück, der angeblich bei sechs Patienten einen Gewichtsschwund von 21 Gramm mit Eintritt des Todes festgestellt hatte. Bedauerlicherweise konnte dies nie reproduziert werden. Dann haben wir da die Gurus a la Deepak Chopra, die uns weismachen wollen, dass das Universum ein einziges, riesiges, bewussten Informationsfeld von zeitloser Energie ist. Es ist ja okay, zu sagen, dass man trotz allem an ein irgendwie geartetes Jenseits glaubt, aber sich detaillierte Erklärungen zusammen zu spinnen, ist einfach nur vermessen.
Noch schlimmer sind nur Leute wie Eben Alexander, dessen Buch ‚Blick in die Ewigkeit‘ als Profitmacherei entlarvt wurde (siehe http://www.thewire.com/entertainment/2013/07/proof-heaven-author-debunked/66772/). Ähnlich Alex Malarkey, der seine Geschichte ebenfalls nur erfunden hat (wobei man ihm zugute halten muss, das er damals gerade mal sechs Jahre alt war, siehe http://www.npr.org/blogs/thetwo-way/2015/01/15/377589757/boy-says-he-didn-t-go-to-heaven-publisher-says-it-will-pull-book).



Das heißt natürlich nicht, dass Nahtoderlebnisse nicht lebensverändernd sein können. Allein auf dramatische Art und Weise mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert zu werden! Und natürlich sehen wir uns selbst als mehr als nur lebendige Maschinen oder denkendes Fleisch. Unser Bewusstsein, unser Selbst fühlt sich als unabhängig vom Körper an, unabhängig auch vom Gehirn.  Das ist ganz natürlich und lässt sich nicht überwinden, auch wenn wir intellektuell wissen, dass vermutlich lediglich unser Gehirn diesen Eindruck erzeugt. Insbesondere, wenn man die Traumatik der Beobachtung des Todes berücksichtigt: in einem Augenblick lebendig, im anderen nur noch ein Haufen regloses Fleisch, während natürlich die Person in unserer Erinnerung noch präsent und ‚lebendig‘ ist. Auch ist es einfach unmöglich, sich den eigenen Tod vorzustellen. Wir haben keine Möglichkeit der Auffassung von Nichtexistenz. Hinzu kommt auch noch die wahrgenommene Ungerechtigkeit des Lebens, also unmoralische Menschen, die lange und gegebenenfalls wohlhabend leben, während ‚gute‘ Menschen, speziell ‚unschuldige‘ Kinder mitunter verfrüht aus dem Leben gerissen werden oder schlimme Schicksale erleiden müssen. Es ist klar, dass folglich Vorstellungen der Unsterblichkeit in fast allen Kulturen entstanden. Keiner, so scheint es, will sich damit abfinden, dass das, was einmal gelebt, gelitten, geliebt hat und wurde, völlig ausgelöscht werden könnte. Daher gilt der Tod in fast allen Kulten und Religionen als Tor zu einem anderen Leben. Und einerseits kann diese Hoffnung Trost spenden, sie kann aber eben auch missbraucht werden und von der Wichtigkeit des Augenblicks, des einen Lebens, von dem wir mit Bestimmtheit wissen, dass es existiert, ablenken. Schlimmstenfalls töten sie, um im Jenseits belohnt zu werden. Andere leben ihr Leben wie in einem Warteraum oder mit Schuld und Angst vor dem Jüngsten Gericht.


Ja, in gewisser Weise glaube auch ich an eine Seele, zumindest an die Eigenschaft oder Fähigkeit, mit sich im Reinen sein, inneren Frieden und Harmonie verspüren, eine positive Ausstrahlung auf Andere haben, mit anderen mitfühlen zu können usw. – oder eben das Gegenteil. Nur, ob das bislang unergründete Energie- und Kraftfelder sind, irgendwie mit Spiegel-Neuronen, Informations-Netzen & Co. zusammenhängen, weiß niemand so recht. Ich bin auf jeden Fall extrem skeptisch gegenüber denjenigen, die behaupten, über ihre subjektiven Erlebnisse hinaus besondere Erkenntnisse und Erklärungen liefern zu können. Insbesondere, wenn sie damit offensichtlich Profit machen. Genauso, wie ich es für unangebracht halte, naturwissenschaftliche Erkenntnisse überzuinterpretieren und damit metaphysische Aussagen zu machen, so mag ich es auch nicht, wenn Wissenschaft als sich ständig widersprechende und sich revidierende Disziplin abgetan oder gar als atheistische Weltverschwörung diskreditiert wird. Ich halte besondere Skepsis angebracht gegenüber allen angeblichen Autoritäten, die behaupten, zum Übernatürlichen eine besondere Verbindung zu haben und uns sagen zu können, was wir zu tun und zu lassen hätten. Alle Dogmen, die für sich Absolutheit und Exklusivität beanspruchen, halte ich für extrem gefährlich. Verabscheuungswürdig sind alle Versuche, die Angst und Hoffnung von Menschen für Profit, Macht oder sonstige Zwecke zu missbrauchen sowie Menschen davon abzuhalten, im Hier und Jetzt Glück zu erleben sowie unmoralisches Handeln, Ausgrenzung, Arroganz und Intoleranz zu befördern. Mindestens Zeit- und Energieverschwendung erachte ich das Durchforsten von genealogischen Unterlagen nach irgendwelchen Vorfahren, damit sich Teenager im Schnellverfahren für diese taufen lassen, um so deren Seelen aus der Hölle zu befreien. Amen.