Angriff auf die religiöse Freiheit, der Papst & Charlie Hebdo



Auf die Gefahr hin, diese Dinge hier in grober Weise miteinander zu vermischen:

Am 07. Januar 2015 verüben islamistische Terroristen unter Ausrufen von "Allahu Akbar" ( "Gott ist groß") ein blutiges Attentat gegen das französische Satiremagazin Charlie Hebdo. In diesem wurden wiederholt Karikaturen von Mohammed veröffentlicht.

Am 15. Januar 2015 erklärt Papst Franziskus gegenüber Journalisten: „Viele Menschen ziehen über Religion her, das kann passieren, hat aber Grenzen. Jede Religion hat eine Würde, und man kann sich darüber nicht lustig machen.[…] Wenn Dr. Gasbarri, mein lieber Freund, meine Mama beleidigt, erwartet ihn ein Faustschlag. Denn man kann den Glauben der anderen nicht herausfordern, beleidigen oder lächerlich machen.“ 

Am 27. Januar 2015 hält die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage eine Pressekonferenz ab, in der unter anderem die Apostel Christofferson, Oaks und Holland ihre Unterstützung für Anti-Diskriminierungs-Gesetze in Sachen Wohnungsbeschaffung sowie Beschäftigung gegenüber Homosexuellen bekunden, im Gegenzug jedoch vor dem Angriff auf die religiöse Freiheit warnen und entsprechenden Schutz verlangen.

Wo ist der Zusammenhang? Es ist die Frage: Darf Religion im Namen Gottes oder der Religionsfreiheit universelle Tabus aufstellen, die Meinungsfreiheit einschränken oder gar diskriminieren? Ist – wie uns die Mormonen-Führer glauben machen wollen – die religiöse Freiheit oder doch eher die Freiheit der Kunst und Presse in Gefahr? Oder gar die abendländische Kultur, wie Pegida uns weismachen will? Oder ist das wirklich dringende Problem religiös motivierte Gewalt und Terror?

Etwas praktischer gesprochen: Dürfen Ärzte gezwungen werden, Abtreibungen durchzuführen oder lesbische Paare künstlich zu befruchten? Oder wie im Hobby Lobby-Fall, der vor dem obersten US-Gericht landete, wonach Familienunternehmen nicht gezwungen werden dürfen, für die Krankenversicherung ihrer weiblichen Mitarbeiter zu zahlen, wenn diese Verhütungsmittel abdeckt. Im öffentlichen Leben ist es eigentlich ziemlich klar, dass religiöse Weltanschauungen und Gefühle keine Form von Diskriminierung erlauben. Darf ich als Fotograf aus religiösen Gründen den Auftrag ablehnen, die Hochzeit eines homosexuellen Paares abzulichten? Nein, natürlich nicht. Man muss nur homosexuell durch farbig, jüdisch oder muslimisch ersetzen. Wir wären entsetzt, wenn die Hautfarbe oder Ethnizität ein Grund sein dürfte, um Kunden nicht bedienen zu können. Warum soll die Sexualität ein Grund für Diskriminierung im öffentlichen Leben sein dürfen? Wohl kaum. Das hat nun endlich auch die Mormonen-Führung erkannt und akzeptiert – ohne sich natürlich zu entschuldigen oder zuzugeben, dass sie sich jahrelang durch Prop 8 & Co. dagegen gestemmt hat.

Wovor hat die Mormonen-Kirche dann jetzt noch Angst? Natürlich weiß sie, dass letztlich fast alle Kirchen in ihren Grundsätzen und Praktiken diskriminieren. Nur wenige Religionen haben keine expliziten Regeln im Hinblick auf geschlechtliche Praktiken, Beziehungen und Rollen. Natürlich werden in unseren Breiten keine Mormonen davon abgehalten, ihre Kirchenversammlungen zu besuchen. Sie werden nicht davon abgehalten, auf ihre Weise zu beten, ulkige Unterwäsche zu tragen oder von Freimaurern abgekupferte Rituale abzuhalten. Sie werden nicht gezwungen, vor der Heirat Sex zu haben, Alkohol oder gar Kaffee zu trinken oder Bücher von Christopher Hitchens, Sam Harris oder Bart Ehrman zu lesen. Und noch gibt es keinen Anlass, zu fürchten, dass die Kirche gezwungen werden könnte, gleichgeschlechtliche Ehen zu schließen oder Frauen das Priestertum zu übertragen. Selbst die Exkommunikation von Kritikern, Feministinnen oder Homosexuellen, die nicht zölibatär leben, wird ihnen nicht untersagt. Kein Gesetz untersagt es der Kirche, ihre eigenen Mitglieder zu belügen, Minderjährige zu indoktrinieren oder ihren männlichen Kirchenführern zu gestatten, allein im stillen Kämmerlein 14-jährigen Mädchen intime Fragen zu stellen.

Aber ja, das mag sich eines Tages wandeln. Denn die Abwägung zwischen religiöser Freiheit und Grenzen für religiös motivierter Diskriminierung, Unterdrückung, Manipulation und Gewalt ist schwierig und ändert sich über die Zeit. Wo ist die Grenze der erlaubten Genitalverstümmelung bzw. Beschneidung? Was genau macht eine Zwangsheirat aus? Wo ist die Grenze zulässiger patriarchalischer Autoritätsausübung gegenüber emotionaler Misshandlung und psychischer Gewalt? Bis zu welchem Grad dürfen Eltern ihren Kindern medizinische Hilfe vorenthalten?

Aber bitteschön, das hat nichts mit Einschränkung der Religionsfreiheit oder Diskriminierung von Gläubigen zu tun! Allein der Versuch, die Diskriminierung von Homosexuellen oder Farbigen mit dem möglichen Verletzen von Gefühlen von Gläubigen zu vergleichen, ist unanständig. Ja, der orthodoxe Taxifahrer mag davon abgestoßen sein, wenn sich ein homosexuelles Pärchen auf dem Rücksitz inniglich küsst. Das ist jedoch nichts im Vergleich zu den Auswirkungen der Verfolgung und Ausgrenzung, die Homosexuelle viel zu lange erleiden mussten und in vielen Regionen der Welt noch immer tun. Ein gewisses Unwohlsein aufgrund der ‚sündigen‘ Welt ist in keiner Weise vergleichbar mit Zwangskastration, Gefängnis, Folter & Co. Kein noch so übertriebenes Beispiel religiöser Freiheitsbegrenzung ist auch nur annähernd vergleichbar mit dem Leid und der Diskriminierung von Homosexuellen. Kein Mormone muss sich in unseren Breiten sorgen, wegen seinem Glauben die Arbeit zu verlieren, ins Gefängnis geworfen oder zwangssterilisiert zu werden. Wie viele Gläubige begehen Selbstmord, weil sie von Freunden und Familie ausgestoßen werden? Das ist doch keine wirkliche Diskriminierung, allenfalls Unverständnis und vielleicht hin und wieder Belustigung. Daher ganz klar: in Sachen Anerkennung von Homosexualität und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sollte religiöse Freiheit keinen Vorrang genießen.

Die Grenze zwischen religiöser Diskriminierung und Freiheit ist dabei nicht immer klar und einfach definierbar. Wir sehen dies auch an der Diskussion um Ächtung und Verbot von Schleiern und Burkas. Hier bin ich beispielsweise eher auf Seiten der religiösen Freiheit, auch wenn ich das Symbol und die Botschaft durchaus kritisch sehe. Und zwar sowohl im Hinblick auf die Sicht auf Frauen als auch Männer. Werden Frauen dadurch nicht erst recht zu Sexobjekten gemacht, wenn man sie verschleiern muss? Männer zu kaum zügelbaren Sexmonstern deklariert? Und Frauen wiederum die Schuld gegeben, wenn Männer ihnen gegenüber Gewalt ausüben? Denn hat die Frau dies nicht durch ihre Kleidung oder ihr Verhalten provoziert? Muslimen diese Form des religiösen Ausdrucks zu gewähren, tut mir jedoch nicht weh und grenzt allenfalls meine Freiheit ein, das Haar oder Gesicht der Personen betrachten zu können. Und klar, bei einer Burka ist die soziale Interaktion schon sehr eingeschränkt. Aber ein Verbot halte ich dennoch nicht für gerechtfertigt. Denn die Einschränkung meiner Freiheit ist doch minimal. Anders bei Unternehmen, die wiederum das Recht haben sollten, in berechtigtem Rahmen gewisse Kleiderordnungen für die Angestellten aufstellen zu können. Nur müssen fairerweise diese Regelungen für jede Art der Vermummung und Kleidung gelten, egal, ob religiös oder nicht-religiös motiviert. Beispielsweise kann man nicht ein Kopftuch verbieten, jedoch Beanie-Mützen erlauben. Oder einen Bart nur dann zulassen, wenn dieser aus religiösen Gründen wachsen gelassen wird.

Noch einmal zurück zur LDS-Pressekonferenz: In bekannter Manier wurden da natürlich mal wieder die Fakten verdreht. Oaks sagte: “Doch heute sehen wir immer häufiger neue Beispiele für Angriffe auf die Religionsfreiheit. Unter ihnen sind die Folgenden:. . . Kürzlich, in einer der größten Städte der USA, verlangten Regierungsbeamte Einsicht in die Predigten und Notizen von Pastoren, die aus religiösen Gründen gegen ein neues Gesetz waren. Diese Pastoren sahen sich nicht nur mit Einschüchterung konfrontiert, sondern auch strafrechtlicher Verfolgung, weil sie verlangten, dass eine neue Homosexuellen-Rechtsverordnung zur Abstimmung der Bürger gestellt werden sollte.“

Oaks vergas zu erwähnen, dass die Pastoren in Houston gegen ‚Houston Equal Rights Ordinance (“HERO”)’ waren, womit Diskriminierung gegenüber Homosexuellen und Transsexuellen im Bereich der Arbeit und  Wohnungswirtschaft verboten werden sollte. Er vergas auch zu erwähnen, dass die Kampagne der Pastoren deshalb scheiterte, weil diese seitenweise Unterschriften gefälscht hatten. Der wahre Skandal ist doch wohl, dass religiöse Führer nicht vor massivem Betrug zurückschreckten, um ein demokratisch verabschiedetes Gesetz zum Schutz vor öffentlicher Diskriminierung zu Fall zu bringen.

Wenn diese Pastoren nun zusehen müssen, dass Homosexuelle nicht mehr einfach entlassen werden dürfen, weil sie schwul sind, so ist das in keinster Weise vergleichbar mit dem, was die Opfer von Taliban, Boko Haram und IS erleiden. Nicht Religionsfreiheit ist in Gefahr, sondern die Presse- und Meinungsfreiheit. Dass Kritik an Religionen und der Umgang mit religösen Symbolen in der Kunst mitunter geschmacklos und herabwürdigend erfolgt, steht außer Frage. Ja, es sollte eine selbstverständliche Form des Respekts sein, sich anständig und würdevoll in Gotteshäusern zu verhalten. Auch wenn ich die alttestamentlichen Speiseregeln für noch so unsinnig erachte, respektiere ich diese natürlich dennoch, wenn mich beispielsweise ein gläubiger Jude zum Essen besuchen sollte. Selbiges würde genauso für Frutarier gelten. Moralisch harmlose Traditionen, Bräuche und Gewohnheiten sollten wir respektieren. Aber wir sollten die moralisch gefährlichen und verwerflichen Missbräuche von Ritualen und Weltanschauungen in Frage stellen und kritisieren dürfen. Sie haben unseren Respekt, unsere Achtung nicht verdient. Und auch Agnostiker, Atheisten und Humanisten haben Rechte. Sie haben das Recht, ihre Abscheu vor Aberglauben und irrationalen Traditionen kundzutun. Gläubige sollten das Recht haben, zu glauben, was sie wollen – und sei es noch so absurd, widersprüchlich und unbeweisbar. Aber Ungläubige dürfen auch diese Aussagen hinterfragen und ja auch darüber lachen. Beide Rechte enden da, wo sie einander vernichten wollen und wo sie Gewalt verursachen. Das Verletzen von religiösen Gefühlen alleine ist hingegen keine Gewalt und keine Diskriminierung. Es kann jedoch unangebracht, respekt- und geschmacklos sein. Dies darf aber nicht verwechselt werden mit wirklicher Diskriminierung und Gewalt. Nur weil ich mich in meinen religiösen Gefühlen verletzt und beleidigt fühle, rechtfertigt dies keine Art von Gewalt. Genauso mag sich ein durchschnittlicher Sachse in seiner abendländischen Kultur durch Kopftücher und Döner bedroht fühlen. Aber auch diese verletzten Gefühle sind keine Rechtfertigung für Diskriminierung und Gewalt. Unverzichtbar ist hierbei allenfalls das Recht und die Pflicht, Anschauungen, Vorstellungen, Argumente, Methoden, Institutionen und Autoritäten zu hinterfragen. Es darf kein Tabu geben, Religionen zu kritisieren und es darf für Religionen keinen Freifahrtsschein geben, zu diskriminieren oder anderweitig Schaden zuzufügen. Lieber nehme ich dabei unberechtigte, respekt- oder geschmacklose Religionskritik in Kauf als Gehirnwäsche, Folter, Mord und Terror im Namen Gottes.